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Als ich mein Coming-in hatte, also merkte, dass ich Kinderliebender bin, war ich erschrocken und ekelte mich vor mir selbst. Vier wesentliche Aspekte stechen dabei besonders heraus:
Als erstes gingen mir ganz banale Gedanken durch den Kopf: Ich kann mich nicht in eine erwachsene Frau verlieben und eine normale Beziehung mit ihr führen. Versuche in der Vergangenheit scheiterten. Also werde ich nie heiraten oder Kinder kriegen können. Das Thema Familie war für mich folglich beerdigt. In meinem Umfeld wurde ich mit der Frage bedrängt, wann ich mir endlich eine Freundin suche und was in dieser Hinsicht mal aus mir werden soll. Oftmals wurde ich auch für schwul gehalten. Mentaler Druck wurde auf mich ausgeübt.
Die Folge war: Mein Leben erschien mir sinnlos und ohne Ziel, denn das Gründen einer Familie war bis dahin das Ziel gewesen, mit dem ich meinen Lebensinhalt gefüllt hatte. Nachdem ich merkte, dass mir das nicht möglich sein wird, verlor ich jede Motivation und jeden Antrieb. Alles was ich tat erschien mir sinnlos und vergebens, denn es hatte keinen Zweck: meine Ausbildung, meine Schöpfungen, alles - denn es würde keine Frau und keine Kinder geben, die es nutzen und darauf aufbauen könnten. Letztlich stellte ich aus diesem Grunde den Sinn und Zweck meines Weiterlebens schlechthin in Frage.
An dem zweiten Aspekt hatte ich am meisten zu knabbern: Ich erachtete mein Leben nicht nur für sinnlos, sondern gar für gefährlich, denn ich hielt mich für ein geistiges und emotionales Monster und empfand Ekel vor mir selbst. Warum war das so? Nun, ich wusste damals nur, dass ich Kinderliebender bin. Meine ganze Kenntnis über diese P-Leute hatte ich aus dem Medien. Und in den meisten Medien werden P-Leute nur erwähnt, wenn es Übergriffe auf Kinder gegeben hat oder die Polizei erfolgreich einen "Ring" zerschlagen und Kinderpornographie eingesammelt hat. Ohne dass ich zu dieser Zeit je näher als zehn Meter nahe eines Kindes gegangen bin und somit erst Recht keine "Taten" verübt habe, dachte ich trotzdem: "Ja, ich bin auch so einer. Ich bin ein Straftäter, zumindest theoretisch, gehöre zu den Monstern, die Kinder in Gebüsche schleifen und ihnen weh tun."
Folge dieser - falschen - Erkenntnis: Selbstablehnung, Selbsthass und vor allem Minderwertigkeitsgefühle. Ich schämte mich abgrundtief für meine Gefühle und war verzweifelt, weil man Gefühle nun mal nicht ändern kann. Wenn ich mich vor den Kinderseiten des Otto-Modekataloges entspannt hatte, dann kam ich mir danach ganz miserabel und dreckig vor, gar wie ein Schwerverbrecher, der sich den schlimmsten Porno angeguckt hat. Außerdem kam eine mächtige Paranoia und Zurückgezogenheit hinzu: Da man bei einem Outing als Kinderliebender scheinbar automatisch eine Hausdurchsuchung bekommt und sozial geächtet wird, entwickelte ich eine große Angst davor, jemand könne meine kinderliebende Eigenschaft entdecken. Da mir die Medien mit ihren Berichten über Spielplatzbeobachter und missbrauchenden Onkels einreden wollten, was einen Kinderliebenden ausmacht, stellte sich bei mir unterbewusst eine Identifizierung mit diesem medialen Kinderschänderbild ein. Als Jugendlicher hatte ich in meinen Träumen schreckliche Vergewaltigungs- und Missbrauchsphantasien, in denen ich die Täterberichte aus Presse und Fernsehen nachträumte. Meine Verunsicherung hinsichtlich des Kinderliebenden-Bildes in der Öffentlichkeit führte letztlich sogar zu dem grotesken Gedanken: "Du musst heimlich irgendwo ein Mädchen missbrauchen, sonst bist Du gar kein richtiger Kinderliebender, sondern gar nichts."
Um diese schrecklichen Gedanken, zu denen mich die Gesellschaft mit ihrer Hysterie getrieben hat, zu unterdrücken und wegen meiner Angst vor öffentlicher Entdeckung meiner Eigenschaft kam der dritten Aspekt hinzu: Ich machte einen riesigen Bogen um Kinder - ja lief regelrecht vor ihnen davon. Meine Gedanken und Phantasien wollte ich auf meine Innenwelt beschränken und mit der Realität nicht in Kontakt kommen. Niemals sollte mich ein Erwachsener bei der Kommunikation mit einem Kinde sehen dürfen - denn er könnte ja durch meinen Blick oder meine Stimmlage oder Pupillengröße merken, dass ich Kinderliebender bin. Auch hier steigerte sich mein Verhalten in groteske Dimensionen, als meine Angst vor einem Zwangs-Outing explodierte: In den seltenen Situationen, in denen ich unvermeidbar mit einem Kind konfrontiert wurde, verhielt ich mich nach außen diametral zu meinen Empfindungen: Ich ignorierte jede Kontaktaufnahme durch das Kind oder gab mich gar abweisend und schroff. Und das alles, um bei Freunden oder in der Familie ja nicht als Kinderliebender durchzugehen. Dieses Verhalten war eine große Last für mich und es blutete mir jedes Mal das Herz dabei, verletzte ich doch auch auf diese Weise das Kind. Doch in meiner Angst und Unwissenheit wusste ich mir nicht anders zu helfen. Dies führt zum
vierten Aspekt: Ich fühlte mich einsam und ausgegrenzt auf dieser Welt. Mit niemandem konnte ich über meine Gefühle sprechen. Diskussionen mit Freunden über Sexualität und Busen-Wunder gerieten für mich zur Farce und einem Schauspiel falscher Begeisterung. An Gruppenveranstaltungen nahm ich nicht mehr teil, sondern zog mich immer weiter in mich selbst zurück - in die seelischen Katakomben des sinnlosen Lebens eines Monsters. Alkohol und Selbstaufgabe waren fortan mein täglich Brot.
Ich befand mich in der Hölle. Doch am 06.05.2009 fand ich den Weg nach oben...
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