Die gegenwärtig ganz offensichtlich herrschende und tendenziell augenscheinlich noch zunehmende gesellschaftliche Hysterie bezüglich des Themenkomplexes Kind und Sexualität wird auch jenen Pädos/GLs (und anderen Menschen) zum Problem, die bezüglich der derzeitigen gesetzlichen Einschränkungen (betreffend sexueller Interaktionen mit dem Kind, Kinderpornographie etc.) grundsätzlich gar keine Änderungswünsche haben und diese gesetzlichen Maßnahmen als im Prinzip für notwendig und richtig erachten. Die Hysterie erzeugt sehr schnell einen Verdacht in irgendeiner Form, auch dort, wo dieser völlig unbegründet ist.
Woher kommt diese Hysterie?
Es ist keine Frage, dass die Ursache hierfür in der Struktur der modernen Gesellschaft gesucht werden muss und im Speziellen in der darin sich manifestierenden Sichtweise und dem Stellenwert von "Sexualität".
F.Eder, Sozialhistoriker an der Univ. Wien, hat in seinem Buch "Kultur der Begierde" [x] eine ausgesprochen interessante, informative und auf viele Quellen abgestützte Darstellung über den Stellenwert von Sexualität in der modernen Gesellschaft des späten 20. und 21. Jahrhunderts im Vergleich zu früheren Epochen der Menschheitsgeschichte geliefert. Das Resümee mag - insbesondere bei verinnerlichter freudianischer, biologistischer Sichtweise - mitunter überraschend anmuten: Sexualität an sich und sexuelle Begierde im Speziellen ist keine ahistorische Konstante, kein über Zeiten und Kulturen hinweg im Grunde ident wirkender biologischer "Trieb". Sexualität bzw. sexuelle Begierde ist vielmehr ein sozial-kulturelles, mentalitätsbestimmtes Konstrukt!
Der zentrale Stellenwert, den das Sexuelle im aktuellen Menschenbild einnimmt, ist als Spezifikum einer modernen oberflächlich-hedonistischen Gesellschaft des späten 20. und 21. Jahrhunderts anzusehen und war in früheren Zeiten in dieser Form nicht gegeben. Folglich ist auch die in der heutigen Gesellschaft zentrale Verbindung von (vorrangig genital und orgasmuszentrierter) Sexualität bzw. sexueller Befriedigung und individueller Glückssuche ein Spezifikum eben dieser modernen Gesellschaft. Ganz deutlich schreibt Eder:
Das (vorrangig genital- und orgasmuszentrierte) sexuelle Element war innerhalb des Werte- und Glückskanons früherer Zeiten deutlich weniger zentral vorhanden als in der modernen Gesellschaft des späten 20. und des 21. Jahrhunderts!
Wir können diese Bestandsaufnahme der heutigen Gesellschaft mit dem ihr eigenen Stellenwert von Sexualität als Folge einer "Inflation" (qualitative Entwertung, die mit quantitativer Verbreitung einhergeht) eines sich im 18. und frühen 19.Jahrhundert konsolidierenden, zunächst noch quasi-elitären bürgerlichen Gesellschaftsmodells sehen, in dem zu seiner Entstehungszeit - im Kontrast zur traditionellen bäuerlichen Gesellschaft - die enge Verbindung zwischen (spirituell fundierter) Liebe und Erotik mit Sexualität überhaupt erst festgeschrieben wurde. Die noch heute aktuelle Vorstellung von Sexualität bzw. sexueller Befriedigung als Weg zum individuellen Glück hat hier ihre Wurzeln. Im Zuge der "Inflation" des bürgerlichen Modells durch den stetig anwachsenden bürgerlichen Mittelstand - einhergehend mit der Ablöse des idealistischen Weltmodells durch ein materialistisch-hedonistisches Weltmodell im späten 19. und 20. Jahrhundert - verschob sich der Akzent von der (spirituell fundierten) Liebe hin zur Sexualität bzw. sexuellen Befriedigung als Weg zum individuellen Lebensglück und Ziel. Das atheistisch-materialistische Triebmodell Sigmund Freuds ist ein wesentlicher Baustein auf diesem Weg.
Logische Fortführung dieser Entwicklung ist die - etwa seit den 1960er Jahren in den Köpfen forcierte - explizite Verbindung von (ungehemmter) Sexualität und individueller "Freiheit". In der wiederum stark durch den Verlust traditioneller Werte gekennzeichneten Nachkriegsgesellschaft verbreitet sich jener nicht mehr auf Werten und (Eigen-)Verantwortungsbewusstsein basierende Freiheitsbegriff, der zum Markenzeichen einer oberflächlich-hedonistischen Gesellschaft wird.
Die ideologisch weit fortgeschrittene Akzentverschiebung von Sexualität im traditionell-bürgerlichen "Glücksverheißungs-Konglomerat" zulasten der umfassendend verstandenen Kategorie "Liebe" hat zweierlei bewirkt: Einerseits die tendenzielle Monopolstellung einer (abgespaltenen) Sexualität bei der individuellen "Glücksverheißung", andererseits aber auch die Tatsache, dass Liebe und Erotik im "platonischen" Sinne - also ohne (befriedigendes) Sexualleben - ihren "glücksverheißenden" Stellenwert deutlich eingebüßt haben.
Vielleicht findet das heutige Vorhandensein einseitig-forcierter pädosexueller Ambitionen - dort, wo sie unter Pädos vorkommen - selbst seine beste Erklärung innerhalb des Bezugsrahmens der genannten modernen Gesellschaftsideologie?
Das (mit Recht) in der modernen Gesellschaft erstarkte Bewusstsein um die unabdingbare Notwendigkeit eines großangelegten rechtlichen Schutzes des Kindes vor dessen zahlreicher werdenden Gefährdungen, in Kombination mit einer Gesellschaftsideologie, die nun (ungehemmte) Sexualität - abgespalten von (spirituell fundierter) Liebe - zum Symbol einer glückverheißenden individuellen (Pseudo-)Freiheit hochstilisiert hat, musste wohl fast zwangsläufig zu einer drastisch verstärkten Festschreibung rechtlicher Einschränkungen bezüglich der Bereiche "Kind" und "Sexualität" führen. Aber nicht nur das. Eine Folgeerscheinung dieser Entwicklung ist leider auch eine starke Hysterie im Zusammenhang mit jenen Kategorien sowie in der Folge ein oft übertriebener Argwohn und die Tendenz zur Forcierung von - der Sache nach unnötigen - Sicherheitsabständen und Verbotsausweitungen.
Unterstützt wird diese Entwicklung noch - für eine oberflächliche, einen nicht mehr wertefundierten Pseudo-Freiheitsbegriff und eine abgespaltene Sexualität forcierende Gesellschaft durchaus "passend" - durch eine tendenzielle Veräußerlichung des Kinderschutzes selbst: Wo eine oberflächliche, hedonistisch-materialistische Lebensgesinnung herrscht, mutiert auch der Kinderschutz der Tendenz nach schnell zu einem äußerlichen "Alibi"-Kinderschutz, der bezüglich der handfest feststellbaren materiellen bzw. physischen Gefahren wie physischem Missbrauch immer größere gesetzliche Sicherheitsabstände für nötig hält, den gesellschaftsimmanenten subtileren Kindesmissbrauch (die weitverbreitete Missachtung der geistigen kindlichen Persönlichkeit in der Schule, durch die Bezugspersonen etc.) aber vergleichsweise gerne "übersieht". Gerade das Wissen um eine dergestalt im Grunde nicht kindgerechte Gesellschaft führt wiederum zu einem Erstarken des ohne viel geistiges Zutun vergleichsweise leicht unsetzbaren äußerlichen Alibi-Kinderschutzes in den Parteiprogrammen etc. Man will ja schließlich zeigen, dass man etwas für das Kind tut, das ja die Zukunft der Gesellschaft darstellt.
Der zugleich als Gesellschaftselement (mehr oder weniger) an dieser Entwicklung beteiligte und davon betroffene Pädo/GL kann wohl nur eines tun: Die - in unserer modernen Gesellschaft - als notwendig erkannten gesetzlichen Bestimmungen zum Kinderschutz klar befürworten und einhalten sowie vor allem ein wertebewusstes, eigen- und fremdverantwortungsbewusstes Leben führen, das zugleich als Vorbild für all jene dienen kann, die ebenfalls einen Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft zu leisten vermögen und auch wollen.
Kommentare hierzu (in welcher Richtung auch immer) sind freilich gerne gesehen!

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[x] Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität (Beck'sche Reihe 1453). München 2002.