Hallo Wolke,
Wolke 7 hat geschrieben:@Sakura: Verstehe ich das richtig? Deine Analogie läuft so:
Die Faszination mit der Unschärfe der Sprache war auf die Literatur begrenzt (ist Philosophie dann auch Literatur?) und war quasi die Gegenreaktion auf das im Alltag um sich greifende Festzurren von Bedeutungen (woran machst du das fest?).
Der Sachverhalt ist zu komplex, um kurz auf diesen Nenner gebracht zu werden, aber tendenziell ist Deine Einschätzung richtig.
Die Faszination war insgesamt auf künstlerische Äußerungen begrenzt, nicht nur avuf Literatur. In der Musik findet man auseinanderstrebende Tendenzen innerhalb von Werken: Eine starke Rationalisierung in der Zwölftontechnik, die jedoch gleichzeitig eine Öffnung für eine unübersehbare Vielzahl von neuen Möglichkeiten war, die nicht bereits durch die neue musikalische Theorie vorgegeben sind.
In der Literatur ist der Trend zur sprachlichen Unschärfe und Bedeutungsunschärfe ganz klar. Alles andere ist nach diesen Maßstäben Trivialliteratur.
Die Philosophie des 20. Jh. lässt sich kaum in dieser Hinsicht unter einen Hut bringen.
Generell sehe ich da eine Tendenz zur Verwissenschaftlichung, also den Trend zu einer Eindeutigkeit des Gemeinten, zusammen mit dem Anspruch, alles erklären zu wollen. Da ist die Unschärfe in der Sprache allenfalls noch ein Gegenstand des analytischen Intereses.
Und analog dazu siehst du heute die 'Unschärfe' der pädophilien Beziehung als das die 'normalen' Leute faszinierende Andere der in der Norm 'festgezurrten' Sexualität.
Die Unschärfe ist zunächst eine Notwendigkeit, weil Kind und Liebhaber/in auch immer zusammen von außen gesehen werden. Der ältere Partner muss den äußeren Beobachtern verschiedene Deutungsmöglichkeiten für das Wesen dieser Beziehung anbieten. Andernfalls wäre die alleinige Deutung: "Der steht auf das Kind weil er pervers ist" das Ende des Kontaktes. Das ist zu unterscheiden von der vorsätzlichen Täuschung, in der *nur* die Intimität gesucht wird, während man das Umfeld belügt. Man kann als Perv durchaus auch mehrere Rollen sequenziell oder gleichzeitig einnehmen und korrekt ausfüllen.
Ein wesentlicher, hier zunächst nicht mitgemeinter Aspekt ist auch die Forderung nach innerer Ambiguität der Pädo-Kind-Beziehung: Man wäre ja realitätsflüchtig bzw. blind vor Narzissmus, wenn man annähme, das Kind würde dasselbe für den Perv empfinden wie dieser für jenes.
Auf gut Deutsch: Die Unschärfe der Sprache wäre linguistisch das, was die Pädophilie in der Sexualität ist? So ungefähr?
Die Beziehung findet statt und wird erfüllt in der Schnittmenge der nicht deckungsgleichen Bedeutungszuschreibungen an die Beziehung durch Kind und Perv.
Dabei bleibt immer eine rest-Ambiguität, die zu tolerieren ist, wenn die Beziehung gelingen soll. (Aber: in welcher Erwachsenenbeziehung ist das nicht der Fall?? In der Perv-Beziehung ist dieser Aspekt nur wesentlich stärker ausgeprägt.)
Die Ambiguitätstoleranz ist eine Forderung an den Perv. Er will eine möglichst symmetrische Erwiderung seines Begehrens, um die Anbiguität in seinem Sinne aufzulösen. Das ist jedoch prinzipiell nicht drin! (Übrigens auch nicht in Erwachsenenbeziehungen, die um so komplizierter werden, je lückenloser sie von den Partnern begrifflich zu erfassen versucht werden.)
In einer Perv-Beziehung wäre das das Ende der Gegenseitigkeit. Z.B. habe ich vior Jahren mal das Klagelied eines Pädo angehört, der nicht runterkriegte, dass seine Liebste ihn als Patenonkel ansieht. Es hatte zwischen beiden eine Diskussion gegeben etwa der mehrfach wiederholten Inhalts: "Du bist meine Freundin." - "Nein, du bist mein Patenonkel!"..., obwohl beide eine herzliche Beziehung verband, bis die Polizei kam.
Hier sehe ich übrigens eine durchaus ungesunde Nebenwirkung der Perv-Forenwelt: "Unter uns" ist Eindeutigkeit eine ungeschriebene Forderung. Wer von seinem Engel erzählt, egal ob Junge oder Mädchen, präsentiert dabei immer eine behauptete Symmetrie der Beziehung. Im sozusagen innerpädophilen Diskurs wird diese Symmetrie die erstrebt wird, oft genug in selbstdarstellerischer Weise behauptet, möglciher Weise auch zur Selbstvergewisserung, weil man die Ambiguität nicht zu ertragen gewillt ist. Das wird dann in der Regel fraglos bestätigt, gelobt usw. und zum Maßstab für die eigene Einrichtung einer Engelbeziehung gemacht.
Den beteiligten Kindern wird dadurch die Bedeutungsoffenheit ganz oder teilweise genommen, auf die sie jedoch einen Anspruch haben. Kinder sind je nach Alter immer mit mehr oder weniger ausgeprägten Ambiguitäten konfrontiert, sie können sich in der von Erwachsenen dominierten Welt über eine Situation nicht immer ganz klar sein und müssen diese Unklarheit schlucken. In dem Fall einer Perv-beziehung wird aber gern subtil eine Bedeutung untergeschoben, die in dieser Eindeutigkeit vom Kind nicht beabsichtigt war. Mit wachsender Sozialkompetenz und Erkenntnisgewinn des Kindes wird diese Unterschiebung allmählich erkannt. Die Beziehung wird dann zunehmend als ich-dyston erlebt und ist dann nur noch Ballast.
Dabei könnte es so einfach sein: Die Liebe muss leicht sein. Sie formt nicht sondern lässt sich formen nach dem Willen der Beteiligten. Sie ist gesponnen aus dünnem, verletzlichem Gewebe. Versucht man sie festzunageln an schweren Bedeutungen, ist sie plötzlich nicht mehr greifbar.
Sakura
"Destiny is always revised. Anytime, everywhere." (Siddhartha)