Es ist gewissermaßen Metaethik, also die Frage, wie, mit welchen Methoden ethische Fragen überhaupt betrachtet und gelöst werden können.
Daher beginne ich mal mit einem fast-fullquote:
Ich habe kein Problem mit Gefühlen, sondern mit moralischem Relativismus, der sich auf die Irrationalität von Gefühlen beruft. Ich habe das Gefühl, einvernehmlicher Sex mit Kids ist völlig ok. Anti X hat hingegen das Gefühl, das jemand, der den Pimmel eines Kindes auf einem Bild auch nur ansieht, eine perverse Sau ist, die man vergasen sollte. Und nun? Es gibt keine rationalen Argumente gegen Gefühle, also ist das eine so gut wie das andere, und, naja, das Gefühl der Mehrheit gibt halt den Ausschlag und definiert gewissermaßen, was gerade gerecht ist.Während du davon ausgehst, dass falsche Theorien den Schaden bewirken (und man dafür nicht verantwortlich gemacht werden kann, weil man nicht wissen kann, dass die Theorie falsch ist), bin ich der Meinung, dass es (bezüglich des Schadens und damit für die ethischen Wertung des Handelns) nicht entscheidend ist, welche Theorie vertreten wird, sondern, dass es entscheidend ist, welche Handlungsmaximen man innerhalb dieser Theorie anwendet. Und ich bin überzeugt davon, dass jeder zwischen richtigen und falschen Handlungsmaximen unterscheiden kann. Dabei geht es nicht um ein a priori, sondern einfach darum, dass der Mensch Mensch bleibt, an Menschliches gebunden ist, mit Menschen verbunden und damit immer Teil einer Gemeinschaft ist. Die aus solchen emotionalen Banden abzuleitenden, gemeinhin als positiv und produktiv gewerteten und dadurch in fundamentaler Hinsichcht als gültig bzw. erstrebenswert zu erklärenden Prinzipien wie Loyalität, (Nächsten)Lliebe, Zuneigung, Freundschaft und Schutz, (im Gegensatz zu Hass, Verrat, Zufügen von Schaden, Egosimus und Mangel an gegenseitigem Respekt) können (und sollten) durchaus als Universalien angesehen werden, welche es vermögen, jede noch so quere oder "falsche" Theorie zu durchdringen. Diesen positiven Affekten und Emotionen (in Wahrheit sind sie noch viel mehr als das) ist durchaus der Status ethischer Prinzipien beizumessen, weil sie in sich erstrebenswert sind. Ich sehe aber schon ein, dass du nicht so siehst, diese gerne im diffus-metaphysichen Bereich der Gefühle belassen möchtest, vermutlich, weil man ja nicht gegenüber Gefühlen zur Verantwortung gezogen werden kann, sondern gerade erst gegenüber ethischen Prinzipien. Erst aus diesen ergeben sich ja Verpflichtungen. Und ich glaube, dass es ja das ist, was du vermeiden möchtest: Nächstenliebe als ehtisches Prinzip in dein theoretisches Gefüge einzubauen.
Das passt mir offen gesagt nicht. Bei mir, klar, zuallererst mal deswegen, weil ich in diesem Beispiel halt einer der ersten Kandidaten für das nächste Auschwitz bin. Aber eigentlich sollte es jedem klar sein, dass ein solcher irrationaler Gefühls-Gerechtigkeitsbegriff einfach schon deshalb schlecht ist, weil er in einem neuen Auschwitz enden wird, egal wer nun gerade dort das nächste Opfer ist.
Denn der Schutz der Gemeinschaft, des Nächsten, vor Feinden, vor dem Bösen, ist ja genauso ein positives Gefühl wie Loyalität, (Nächsten)Lliebe, Zuneigung, und Freundschaft, du hast ja selbst "Schutz" mit dazugezählt. Und wenn das Böse hinreichend schlimm ist, ist Auschwitz nichts als Notwehr. Und was hinreichend schlimm ist, ist ja wiederum nur ein Gefühl.
Was tun gegen diese Irrationalität der Gefühle? Ich denke, wir müssen rationale Methoden finden, ethische Thesen zu kritisieren. Gefühle wie die oben beschriebenen müssen kritisierbar sein, es kann nicht sein, dass wir uns einfach mit unbegründeten, unbegründbaren Gefühlen abfinden müssen.
Sicher, rationale Ethik ist heute leider noch keine allzu hoch entwickelte Wissenschaft. Wir sind eher in der Lage dessen, der unter der Lampe seinen verlorenen Schlüssel sucht, weil er dort wenigstens was sehen kann. Diese Lampe sind eben die rationalen Prinzipien.
Aber ganz so hilflos sind wir doch nicht. Wir können Prinzipien aufstellen, und dann versuchen, sie in den verschiedensten Situationen anzuwenden, und dort mit unseren Gefühlen vergleichen. Und wenn es da sehr große Konflikte gibt, dann taugen die vorgeschlagenen Prinzipien nichts. Bei dieser Methode spielen die Gefühle durchaus eine Rolle für die Begründung der Prinzipien.
Dann gibt es zur Bewertung von Prinzipien auch solche allgemeinen wissenschaftlichen Ideen wie Einfachheit, Allgemeinheit, Erklärungskraft, ethischer Gehalt.
Wenn aber Prinzipien diese Überprüfung hinter sich haben, dann können wir sie in konkreten Situationen anwenden, und damit die konkreten Gefühle, die verschiedene Leute in diesen Situationen haben, rational kritisieren.
Dass ich mich selbst in meinen ethischen Gedankengängen auf Prinzipien konzentriere, ist sicherlich eine persönliche Frage. Es hat auch damit zu tun, dass mir gewisse Gefühle wie Hass und Neid ziemlich fremd sind, dass ich den ersten Stein auch dann nicht schmeißen würde, wenn ich ohne Sünde wäre, damit, dass ich sowieso Wissenschaftler bin und rationales Denken einfach mag.
Aber es bedeutet keineswegs, dass ich Gefühle als irrelevant ansehe, vermeiden möchte, dass Gefühle in meinen Konstruktionen keine Rolle spielen. Sie sind wichtig, um verschiedene Vorschläge für ethische Prinzipien zu kritisieren. Ich habe ja letzten Endes auch mit dem Gefühl argumentiert, es sei richtig, die Wahrheit zu sagen. Und damit Prinzipien kritisiert, aus denen folgen würde, dass man in bestimmten Situationen lügen müsste.
Vielleicht ein Bild: Gefühle sind so etwas wie die Steine, die wir brauchen, um ein Haus zu bauen. Und die rationalen Prinzipien so etwas wie Zement, der das Ganze zusammenhält. Gefühle ohne rationale Prinzipien sind wie ein Haus, was jeden Moment über uns zusammenstürzen kann.