dextersdaughter hat geschrieben:Sascha hat geschrieben:Was ist daran schlecht? Wissensvermittlung ist natürlich Beeinflussung, aber geradezu lebensnotwendig. Wieso ist also Beeinflussung pötzlich etwas schlechtes? Lassen wir die Kinder besser dumm sterben?
Wissensvermittlung zielt doch gewöhnlicherweise darauf hin, dass kulturelle Tradition gewahrt, Handlungen in einen sozial sinnvollen Hintergrund eingebettet werden, Identität gefestigt wird. Man "erzieht" Menschen in einen kulturell anerkannten Hintergrund quasi hinein (Rollenverteilungen, Arbeit, Sinnstiftung, Familie, Monogamie, blabla).
Allerdings eher ausversehen. Denn was der Einzelne normalerweise dem Kind beibringt, ist das, was er für wahr hält. Weil man die eigene Tradition für die bessere hält.
Grundsätzlich lässt sich sicher sagen, dass es weniger schädlich ist, Wissen vermittelt zu bekommen, welches mit den kulturellen Leitlinien in Vereinbarung gebracht werden kann, als Wissen vermittelt zu bekommen, das solche kulturellen Vorgaben und Grenzen implizit als nicht vorhanden oder als überflüssig wertet.
Sehe ich auch nicht so. Nützlich ist, wenn man Wissen vermittelt bekommt, welches wahr ist, statt falscher Theorien. Auch wenn nazistische Rassentheorie kultureller Konsens ist, denke ich, ist es gut wenn ein Kind lernt, dass diese Theorie falsch ist. Sicher, das kann einen Konflikt mit der eigenen Gesellschaft bedeuten, der für das Kind tödlich endet. Trotzdem, lieber so sterben als als Gläubiger einer falschen Religion Ungläubige zu verfolgen.
Meiner Meinung nach hat jeder das Recht, selbst zu entscheiden, ob, wann und gegen welche kulturelle Leitlinien er rebellieren möchte.
Sicher. Deswegen muss ich meinem Kind, neben der Falschheit der Rassentheorie, auch beibringen, dass eine öffentliche Verbreitung dieser Wahrheit sehr gefährlich ist.
Solshenizyn erwähnt einen Jungen im GULAG, der schon als Kind der Überzeugung war, dass jeder anständige Mensch im GULAG landet. Und der prompt auch dort landete. Ist es für ihn besser oder schlechter, ein anständiger Mensch zu bleiben?
Ich empfinde es als verantwortungslos, einen jungen Menschen in eine persönliche, der gegenwärtigen Kultur entgegengesetzten, Vendetta mithineinzuziehen.
Ist Kampf für die Wahrheit nur "persönliche Vendetta"? Nach meiner Überzeugung nicht.
Genauso, wie ein junger Mensch ein Recht auf Schulbildung hat, hat er m.M. nach ein Recht darauf, in den gegenwärtig anerkannten kulturellen Rahmenbedingungen zu gedeihen.
Auch wenn die von ihm erwarten, Aufseher in Auschwitz zu sein? Nein, von solchem Kulturrelativismus halte ich rein gar nichts.
Wird ihm Wissen vermittelt, das in erster Linie eigenen, persönlichen Motiven nützt, und wird damit in Kauf genommen, dass ein junger Mensch dadurch in Schwierigkeiten bezüglich seiner Identität, die auch immer kulturell geprägt ist, geraten kann, ist das m.E. nach in einem schlechten Sinne beeinflussend, manipulierend und ungerecht gegenüber dem jungen Menschen.
Ich vermittle niemandem Wissen weil es mir nützt, sondern weil ich es für wahr halte. Ich nehme meinen Eltern nicht übel, dass sie mich kommunistisch erzogen haben, weil sie überzeugt waren, dass dies richtig ist. Wären sie in Wirklichkeit Antikommunisten gewesen, würde ich ihnen eine kommunistische Erziehung sehr übel nehmen.
Die Forderung, Kinder nach der offiziellen Lüge zu erziehen, wenn man selbst von etwas anderem überzeugt ist, ist einfach unmoralisch. So etwas ist nur unter extremsten Umständen (Stalinzeit, Arbeit als Spion) als Ausnahme vertretbar.