Gutachterin auf die Nase gefallen
Verfasst: 01.02.2015, 15:57
spektakuläres Urteil
29.01.15
Unschuldig in Haft wegen erfundenen Missbrauchs
22 Monate als Unschuldiger hinter Gittern sind nicht spurlos vorübergegangen an Norbert K. Der 71-jährige Saarländer schläft schlecht, und wenn er wegdämmert, plagen ihn Albträume. Unter einem Tinnitus leidet er auch seit seiner traumatischen Haft, aber nicht nur die Gesundheit macht dem einst so durchtrainierten Langläufer Sorgen.
Ein Berg von Schulden hat sich aufgehäuft bei dem früheren Bundeswehrbeamten, der 2004 wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war – obwohl er komplett unschuldig war, wie sich später herausstellte. Seine frühere Pflegetochter hatte ihn mit erfundenen Vorwürfen des Missbrauchs bezichtigt und danach sogar noch auf Schmerzensgeld verklagen wollen.
Fehlerhaftes Giutachten einer Psychologin
Doch wenigstens in Geldangelegenheiten könnte es nun eine weitere Entlastung geben: Eine Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken hat K. 50.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen – die eine Homburger Gerichtspsychologin zahlen muss. Denn der Saarländer war wegen eines fehlerhaften Gutachtens der Psychologin schuldig gesprochen worden. Das Gericht wird K. über das Schmerzensgeld hinaus aller Wahrscheinlichkeit auch noch Schadensersatz zusprechen. Doch darüber haben die Richter noch nicht entschieden. Gut 21.000 Euro hat K. zudem bereits aus der Justizkasse als Entschädigung bekommen, pro Hafttag 25 Euro minus Verpflegung sowie Auslagen für Fahrten und Rechtsanwälte.
Das Urteil ist spektakulär. Nur selten werden vom Gericht beauftragte Sachverständige oder Experten für Fehler zur Verantwortung gezogen. [...]
[...]
Es war im Dezember 2002 zu einer schrecklichen Szene gekommen, als die Lage endgültig eskaliert war: Norbert K. hatte sich wieder mal mit seiner Pflegetochter gestritten, es ging ums Schuleschwänzen und um fehlenden Respekt der Pflegemutter Rita gegenüber. Da griff die 13-Jährige dem damals 59 Jahre alten Bundeswehrbeamten zwischen die Beine, vor den Augen eines Handwerkers.
Norbert K. hat den Streit mehrfach geschildert, vor Gericht, im Gespräch mit Journalisten. Er hat erzählt, wie er dem schwierigen, widerspenstigen Mädchen beschied, es müsse umgehend die Familie verlassen. Wie der Teenager daraufhin gedroht habe: "Dann sage ich der Rita, du hättest bei mir gefummelt." Wenige Wochen später erstattete der leibliche Vater des Mädchens tatsächlich mit seiner Tochter Anzeige gegen K.
Die 13-Jährige, die aus schwierigen Verhältnissen stammte und im Alter von zwölf Jahren in die Familie von K. gekommen war, lebte zu diesem Zeitpunkt wieder bei ihrem Vater. Der Vorwurf an K.: wiederholte Berührungen im Intimbereich und Missbrauchshandlungen. Mit dieser Anzeige war K.s Schicksal besiegelt. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, aus dem Beamtenverhältnis entlassen, verlor seine Pensionsansprüche aus 46 Jahren, und nur dank der Hilfe von Freunden und Verwandten konnte das Häuschen vor der Zwangsversteigerung gerettet werden, das K. gerade für seine Familie gebaut hatte.
Fakten wurden reihenweise ignoriert
Der Mann, der neben der Pflegetochter noch ein Adoptivkind und einen Pflegesohn hatte, kam vor Gericht, das Verfahren im Jahr 2004 dauerte nur drei Tage. Wie fast zehn Jahre später in einem Wiederaufnahmeverfahren herausgearbeitet wurde, ignorierte die vom Gericht beauftragte Psychologin in ihrem Glaubwürdigkeitsgutachten reihenweise Fakten, als sie die Vorwürfe der 13-Jährigen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" als wahrheitsgetreu einstufte.
Ein Freiburger Experte überprüfte ihr Gutachten und stellte fest: Die Psychologin beachtete nicht, dass das Mädchen schon mit zehn Jahren ersten Geschlechtsverkehr hatte, dass es auch seiner Pflegemutter Gewalt androhte, sich partout nicht in die Familie oder in den Klassenverband einfinden wollte und zudem in einer Traumatherapie behandelt wurde, die Experten als wissenschaftlich fragwürdig beurteilen.
Das Gericht ließ zudem ein Alibi K.s für einen der benannten Tatzeitpunkte außer Acht, weil es dem Mädchen und dem Gutachten mehr Glauben schenkte als dem Angeklagten. "Das Problem ist, dass es bei Gutachten kaum Qualitätsstandards gibt", sagt Anwältin Lordt dazu.
Ein Jahrzehnt bis zum ordentlichen Freispruch
Dass der Saarländer überhaupt vorzeitig aus dem Gefängnis freikam, hat er einem skurrilen Umstand zu verdanken: Die angeblich missbrauchte Ex-Pflegetochter verklagte ihn auch noch auf Schmerzensgeld vor einem Zivilgericht, und das wies dann prompt die Klage ab, weil die Richter die Schuld von K. nicht als erwiesen ansahen.
Der Verurteilte, der im Gefängnis von anderen Häftlingen als Kinderschänder bedroht und angefeindet worden war, kam zwar frei, dennoch gab die Justiz erst seinem dritten Wiederaufnahmegesuch statt. Bis es schließlich zum lupenreinen Freispruch kam, war ein ganzes Jahrzehnt seit der Anzeige vergangen.
[...]
http://www.welt.de/vermischtes/article1 ... auchs.html
[gekürzt]
29.01.15
Unschuldig in Haft wegen erfundenen Missbrauchs
22 Monate als Unschuldiger hinter Gittern sind nicht spurlos vorübergegangen an Norbert K. Der 71-jährige Saarländer schläft schlecht, und wenn er wegdämmert, plagen ihn Albträume. Unter einem Tinnitus leidet er auch seit seiner traumatischen Haft, aber nicht nur die Gesundheit macht dem einst so durchtrainierten Langläufer Sorgen.
Ein Berg von Schulden hat sich aufgehäuft bei dem früheren Bundeswehrbeamten, der 2004 wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war – obwohl er komplett unschuldig war, wie sich später herausstellte. Seine frühere Pflegetochter hatte ihn mit erfundenen Vorwürfen des Missbrauchs bezichtigt und danach sogar noch auf Schmerzensgeld verklagen wollen.
Fehlerhaftes Giutachten einer Psychologin
Doch wenigstens in Geldangelegenheiten könnte es nun eine weitere Entlastung geben: Eine Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken hat K. 50.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen – die eine Homburger Gerichtspsychologin zahlen muss. Denn der Saarländer war wegen eines fehlerhaften Gutachtens der Psychologin schuldig gesprochen worden. Das Gericht wird K. über das Schmerzensgeld hinaus aller Wahrscheinlichkeit auch noch Schadensersatz zusprechen. Doch darüber haben die Richter noch nicht entschieden. Gut 21.000 Euro hat K. zudem bereits aus der Justizkasse als Entschädigung bekommen, pro Hafttag 25 Euro minus Verpflegung sowie Auslagen für Fahrten und Rechtsanwälte.
Das Urteil ist spektakulär. Nur selten werden vom Gericht beauftragte Sachverständige oder Experten für Fehler zur Verantwortung gezogen. [...]
[...]
Es war im Dezember 2002 zu einer schrecklichen Szene gekommen, als die Lage endgültig eskaliert war: Norbert K. hatte sich wieder mal mit seiner Pflegetochter gestritten, es ging ums Schuleschwänzen und um fehlenden Respekt der Pflegemutter Rita gegenüber. Da griff die 13-Jährige dem damals 59 Jahre alten Bundeswehrbeamten zwischen die Beine, vor den Augen eines Handwerkers.
Norbert K. hat den Streit mehrfach geschildert, vor Gericht, im Gespräch mit Journalisten. Er hat erzählt, wie er dem schwierigen, widerspenstigen Mädchen beschied, es müsse umgehend die Familie verlassen. Wie der Teenager daraufhin gedroht habe: "Dann sage ich der Rita, du hättest bei mir gefummelt." Wenige Wochen später erstattete der leibliche Vater des Mädchens tatsächlich mit seiner Tochter Anzeige gegen K.
Die 13-Jährige, die aus schwierigen Verhältnissen stammte und im Alter von zwölf Jahren in die Familie von K. gekommen war, lebte zu diesem Zeitpunkt wieder bei ihrem Vater. Der Vorwurf an K.: wiederholte Berührungen im Intimbereich und Missbrauchshandlungen. Mit dieser Anzeige war K.s Schicksal besiegelt. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, aus dem Beamtenverhältnis entlassen, verlor seine Pensionsansprüche aus 46 Jahren, und nur dank der Hilfe von Freunden und Verwandten konnte das Häuschen vor der Zwangsversteigerung gerettet werden, das K. gerade für seine Familie gebaut hatte.
Fakten wurden reihenweise ignoriert
Der Mann, der neben der Pflegetochter noch ein Adoptivkind und einen Pflegesohn hatte, kam vor Gericht, das Verfahren im Jahr 2004 dauerte nur drei Tage. Wie fast zehn Jahre später in einem Wiederaufnahmeverfahren herausgearbeitet wurde, ignorierte die vom Gericht beauftragte Psychologin in ihrem Glaubwürdigkeitsgutachten reihenweise Fakten, als sie die Vorwürfe der 13-Jährigen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" als wahrheitsgetreu einstufte.
Ein Freiburger Experte überprüfte ihr Gutachten und stellte fest: Die Psychologin beachtete nicht, dass das Mädchen schon mit zehn Jahren ersten Geschlechtsverkehr hatte, dass es auch seiner Pflegemutter Gewalt androhte, sich partout nicht in die Familie oder in den Klassenverband einfinden wollte und zudem in einer Traumatherapie behandelt wurde, die Experten als wissenschaftlich fragwürdig beurteilen.
Das Gericht ließ zudem ein Alibi K.s für einen der benannten Tatzeitpunkte außer Acht, weil es dem Mädchen und dem Gutachten mehr Glauben schenkte als dem Angeklagten. "Das Problem ist, dass es bei Gutachten kaum Qualitätsstandards gibt", sagt Anwältin Lordt dazu.
Ein Jahrzehnt bis zum ordentlichen Freispruch
Dass der Saarländer überhaupt vorzeitig aus dem Gefängnis freikam, hat er einem skurrilen Umstand zu verdanken: Die angeblich missbrauchte Ex-Pflegetochter verklagte ihn auch noch auf Schmerzensgeld vor einem Zivilgericht, und das wies dann prompt die Klage ab, weil die Richter die Schuld von K. nicht als erwiesen ansahen.
Der Verurteilte, der im Gefängnis von anderen Häftlingen als Kinderschänder bedroht und angefeindet worden war, kam zwar frei, dennoch gab die Justiz erst seinem dritten Wiederaufnahmegesuch statt. Bis es schließlich zum lupenreinen Freispruch kam, war ein ganzes Jahrzehnt seit der Anzeige vergangen.
[...]
http://www.welt.de/vermischtes/article1 ... auchs.html
[gekürzt]