spektakuläres Urteil
29.01.15
Unschuldig in Haft wegen erfundenen Missbrauchs
22 Monate als Unschuldiger hinter Gittern sind nicht spurlos vorübergegangen an Norbert K. Der 71-jährige Saarländer schläft schlecht, und wenn er wegdämmert, plagen ihn Albträume. Unter einem Tinnitus leidet er auch seit seiner traumatischen Haft, aber nicht nur die Gesundheit macht dem einst so durchtrainierten Langläufer Sorgen.
Ein Berg von Schulden hat sich aufgehäuft bei dem früheren Bundeswehrbeamten, der 2004 wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war – obwohl er komplett unschuldig war, wie sich später herausstellte. Seine frühere Pflegetochter hatte ihn mit erfundenen Vorwürfen des Missbrauchs bezichtigt und danach sogar noch auf Schmerzensgeld verklagen wollen.
Fehlerhaftes Giutachten einer Psychologin
Doch wenigstens in Geldangelegenheiten könnte es nun eine weitere Entlastung geben: Eine Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken hat K. 50.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen – die eine Homburger Gerichtspsychologin zahlen muss. Denn der Saarländer war wegen eines fehlerhaften Gutachtens der Psychologin schuldig gesprochen worden. Das Gericht wird K. über das Schmerzensgeld hinaus aller Wahrscheinlichkeit auch noch Schadensersatz zusprechen. Doch darüber haben die Richter noch nicht entschieden. Gut 21.000 Euro hat K. zudem bereits aus der Justizkasse als Entschädigung bekommen, pro Hafttag 25 Euro minus Verpflegung sowie Auslagen für Fahrten und Rechtsanwälte.
Das Urteil ist spektakulär. Nur selten werden vom Gericht beauftragte Sachverständige oder Experten für Fehler zur Verantwortung gezogen. [...]
[...]
Es war im Dezember 2002 zu einer schrecklichen Szene gekommen, als die Lage endgültig eskaliert war: Norbert K. hatte sich wieder mal mit seiner Pflegetochter gestritten, es ging ums Schuleschwänzen und um fehlenden Respekt der Pflegemutter Rita gegenüber. Da griff die 13-Jährige dem damals 59 Jahre alten Bundeswehrbeamten zwischen die Beine, vor den Augen eines Handwerkers.
Norbert K. hat den Streit mehrfach geschildert, vor Gericht, im Gespräch mit Journalisten. Er hat erzählt, wie er dem schwierigen, widerspenstigen Mädchen beschied, es müsse umgehend die Familie verlassen. Wie der Teenager daraufhin gedroht habe: "Dann sage ich der Rita, du hättest bei mir gefummelt." Wenige Wochen später erstattete der leibliche Vater des Mädchens tatsächlich mit seiner Tochter Anzeige gegen K.
Die 13-Jährige, die aus schwierigen Verhältnissen stammte und im Alter von zwölf Jahren in die Familie von K. gekommen war, lebte zu diesem Zeitpunkt wieder bei ihrem Vater. Der Vorwurf an K.: wiederholte Berührungen im Intimbereich und Missbrauchshandlungen. Mit dieser Anzeige war K.s Schicksal besiegelt. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, aus dem Beamtenverhältnis entlassen, verlor seine Pensionsansprüche aus 46 Jahren, und nur dank der Hilfe von Freunden und Verwandten konnte das Häuschen vor der Zwangsversteigerung gerettet werden, das K. gerade für seine Familie gebaut hatte.
Fakten wurden reihenweise ignoriert
Der Mann, der neben der Pflegetochter noch ein Adoptivkind und einen Pflegesohn hatte, kam vor Gericht, das Verfahren im Jahr 2004 dauerte nur drei Tage. Wie fast zehn Jahre später in einem Wiederaufnahmeverfahren herausgearbeitet wurde, ignorierte die vom Gericht beauftragte Psychologin in ihrem Glaubwürdigkeitsgutachten reihenweise Fakten, als sie die Vorwürfe der 13-Jährigen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" als wahrheitsgetreu einstufte.
Ein Freiburger Experte überprüfte ihr Gutachten und stellte fest: Die Psychologin beachtete nicht, dass das Mädchen schon mit zehn Jahren ersten Geschlechtsverkehr hatte, dass es auch seiner Pflegemutter Gewalt androhte, sich partout nicht in die Familie oder in den Klassenverband einfinden wollte und zudem in einer Traumatherapie behandelt wurde, die Experten als wissenschaftlich fragwürdig beurteilen.
Das Gericht ließ zudem ein Alibi K.s für einen der benannten Tatzeitpunkte außer Acht, weil es dem Mädchen und dem Gutachten mehr Glauben schenkte als dem Angeklagten. "Das Problem ist, dass es bei Gutachten kaum Qualitätsstandards gibt", sagt Anwältin Lordt dazu.
Ein Jahrzehnt bis zum ordentlichen Freispruch
Dass der Saarländer überhaupt vorzeitig aus dem Gefängnis freikam, hat er einem skurrilen Umstand zu verdanken: Die angeblich missbrauchte Ex-Pflegetochter verklagte ihn auch noch auf Schmerzensgeld vor einem Zivilgericht, und das wies dann prompt die Klage ab, weil die Richter die Schuld von K. nicht als erwiesen ansahen.
Der Verurteilte, der im Gefängnis von anderen Häftlingen als Kinderschänder bedroht und angefeindet worden war, kam zwar frei, dennoch gab die Justiz erst seinem dritten Wiederaufnahmegesuch statt. Bis es schließlich zum lupenreinen Freispruch kam, war ein ganzes Jahrzehnt seit der Anzeige vergangen.
[...]
http://www.welt.de/vermischtes/article1 ... auchs.html
[gekürzt]
- Cocolinth
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Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
Fazit:
- 1. Gebt niemals auf!
2. Ich würde mir in so einer Situation wahrscheinlich echt überlegen, ob ich das Geld nicht hauptsächlich dafür einsetze, mir das zu nehmen, wofür ich zahlen musste.
Sex mit Kindern ab 14 ist (in D) per se legal:
- „Der Gesetzgeber traut diesen zu, über ihre Sexualität in einem gewissen Umfang selbst zu bestimmen. […] eine pauschale Strafbarkeit besteht somit nicht. [Nur] In besonderen Fällen ist […] der Sex […] unter Strafe gestellt.“
- Horizonzero
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Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
Mein Fazit - ich freue mich für den Mann das er, wenn auch im Grunde zu spät, Gerechtigkeit erfährt.
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- Smaragd aus Oz
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Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
So eine Hilfe dürfte unter diesen Umständen nicht selbstverständlich sein. Dass er solche Freunde hat, sagt viel über diesen Menschen aus.dank der Hilfe von Freunden und Verwandten konnte das Häuschen vor der Zwangsversteigerung gerettet werden
Leider kann man die Haupttäterin nicht belangen, weil sie beim Zeitpunkt der Tat offenbar noch immer 13 war. Möge sie an ihren Komplexen zu Grunde gehen, bevor sie weiteren Männer schadet.
... Und hab’s Pflücken nicht gemacht.
Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
@Smaragd aus Oz
Och, andererseits gefällt mir die "Haupttäterin" auch irgendwie (wenn ich mal ihrem Lebenslauf, soweit er uns mitgeteilt wurde, eine in gewisser Hinsicht doch erfreulich pro-aktive Verarbeitung eines früh erfahrenen, lebensbeeinflussenden Events unterstellen darf... ich hoffe, dass man da gewisse Details nicht übersieht). Wenn sie nur nicht dieses Rachebedürfnis hätte...
Wobei ich jetzt, mit etwas mehr Ernst gesagt, mir schon Gedanken darüber mache, wie da der Rechtsstaat über diese Gutachterin herfällt. Ob sie wirklich derart grobfahrlässig gearbeitet hat, dass man sie jetzt geradezu der Vernichtung preisgeben darf? SO gut wird die nämlich auch nicht verdienen, dass sie all das, wozu sie verknurrt wurde (es sind ja nicht nur diese 50'000€) leicht wegstecken könnte.
Ich halte es zwar für richtig, dass man sie zur Rechenschaft zieht. Aber meiner Ansicht nach sollte der Mann aus der Staatskasse entschädigt werden. Schliesslich wurde er direkt durch ein falsches Urteil geschädigt, und dieses hat nun mal der Staat gefällt. Dieser könnte dann eine Art Regress auf die Gutachterin machen. Der Staat sollte dabei nicht übersehen, dass Gutachtenserstellung in solchen Dingen keine rein mechanisch ablaufende, sondern auch von Abwägen bestimmte Tätigkeit darstellt. Verfährt er nun mit denjenigen, auf deren Dienste er doch viel Wert legt, auf eine Weise, dass er sie vom Himmel, wohin er sie sonst hochhebt, gleich in die Hölle stürzt, so werden sich angesichts solcher Unsicherheit nicht mehr viele Gutachter finden. Oder dann erst recht solche von Zartbitter und Wildwasser motivierte.
Och, andererseits gefällt mir die "Haupttäterin" auch irgendwie (wenn ich mal ihrem Lebenslauf, soweit er uns mitgeteilt wurde, eine in gewisser Hinsicht doch erfreulich pro-aktive Verarbeitung eines früh erfahrenen, lebensbeeinflussenden Events unterstellen darf... ich hoffe, dass man da gewisse Details nicht übersieht). Wenn sie nur nicht dieses Rachebedürfnis hätte...
Wobei ich jetzt, mit etwas mehr Ernst gesagt, mir schon Gedanken darüber mache, wie da der Rechtsstaat über diese Gutachterin herfällt. Ob sie wirklich derart grobfahrlässig gearbeitet hat, dass man sie jetzt geradezu der Vernichtung preisgeben darf? SO gut wird die nämlich auch nicht verdienen, dass sie all das, wozu sie verknurrt wurde (es sind ja nicht nur diese 50'000€) leicht wegstecken könnte.
Ich halte es zwar für richtig, dass man sie zur Rechenschaft zieht. Aber meiner Ansicht nach sollte der Mann aus der Staatskasse entschädigt werden. Schliesslich wurde er direkt durch ein falsches Urteil geschädigt, und dieses hat nun mal der Staat gefällt. Dieser könnte dann eine Art Regress auf die Gutachterin machen. Der Staat sollte dabei nicht übersehen, dass Gutachtenserstellung in solchen Dingen keine rein mechanisch ablaufende, sondern auch von Abwägen bestimmte Tätigkeit darstellt. Verfährt er nun mit denjenigen, auf deren Dienste er doch viel Wert legt, auf eine Weise, dass er sie vom Himmel, wohin er sie sonst hochhebt, gleich in die Hölle stürzt, so werden sich angesichts solcher Unsicherheit nicht mehr viele Gutachter finden. Oder dann erst recht solche von Zartbitter und Wildwasser motivierte.
- Khenu Baal
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Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
Nun, der Staat wird wissen, daß bei der Tante nicht viel zu holen sein dürfte und das schon allein deshalb so handhaben, daß der alte Mann (der mein Mitgefühl hat) im Regen stehen bleibt.
"Du sagst, Du willst die Welt nicht ändern
Dann tun's eben and're für Dich"
Rio Reiser - "Wann"
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Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
Was ist eigentlich mit dem Richter, der ein solches falsches Urteil fällt? gibt es für den auch Konsequenzen?
The heart wants what the heart wants
Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
Ich denke, kaum. Wird ähnlich sein wie bei Aerzten, wo Kunstfehler innerhalb eines (ziemlich grossen) Spielraums im voraus verziehen sind. Gehören irgendwie dazu. Richter zieht man wohl nur zur Rechenschaft bei groben Formfehlern. Also z.B. wenn eine Partei nicht genügend angehört wird, oder so etwas. Denn diesbezüglich kann man die Einhaltung von Normen und Standards erwarten. Wobei wir nicht wissen, was intern läuft. Könnte mir schon vorstellen, dass es da etwa mal eine Ermahnung absetzt. Vielleicht eine vorübergehende Beförderungsbremse.ebonblack hat geschrieben:Was ist eigentlich mit dem Richter, der ein solches falsches Urteil fällt? gibt es für den auch Konsequenzen?
Wobei es der Zweck einer Gutachtensanforderung ist, sich durch ein Fremdurteil absichern zu können. Der Richter wird dann mit Recht sagen können, dass er sich auf ein Gutachten verlassen können muss.
Und schliesslich dürfte die Richtertätigkeit, genau so wie die des Arztes, als Kunst gelten (in einem älteren Sinne). Da gehört eben der Spielraum des Gelingens dazu. Dem einen oder das eine Mal gelingt es besser, dem anderen oder das andere Mal halt weniger gut.
Und nicht zuletzt deswegen ist im Rechtswesen die Anfechtbarkeit schon eingebaut, d.h. es gibt die Möglichkeit der Revision, bei der manchmal überraschend andere Urteile herausschauen, was eben wiederum vom Spielraum zeugt.
Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
@ nabokov
vielen dank für diesen sehr interessanten artikel!
vielen dank für diesen sehr interessanten artikel!
Re: Gutachterin auf die Nase gefallen
Bitte. Gern geschehen.