Während Lautmann, wie schon erwähnt, von einer Befähigung zu hohem Konsens im Umgang
der Täter mit dem Kind schwärmt, sind doch die Strategien, die diese Männer anwenden
– und selbst beschreiben –, um an ihre Opfer zu gelangen, die gleichen wie die anderer
Gruppen von Missbrauchern (vgl. Heiliger 2000). In den Interviews von Lautmann, mit denen
er „Pädophile" darstellt als feinsinnige, kinderliebende Menschen, die die Bedürfnisse der
Kinder einlösen, beschreiben die Probanden selbst keineswegs, dass Kinder mit eigenen
sexuellen Wünschen auf sie zugehen. Die Männer arbeiten mit den bekannten Methoden
von Missbrauchern: Aufspüren, Ausnutzen und Anknüpfen an Defiziten der Kinder, sie an
sich binden mit Geschenken u.Ä., Herstellen von Abhängigkeiten, Verbergen der sexuellen
Übergriffe in spielerischem Handeln. Sie sorgen für die Entstehung von Schuldgefühlen beim
Kind, mitgemacht zu haben, für Schweigen aus Angst vor Verlust der Zuwendungen des Täters
– emotional und materiell – sowie aus Angst, dass ihm niemand glauben würde. Sie
manipulieren die Bezugspersonen der Kinder, vernebeln deren Wahrnehmung, streuen Aussagen
über die Unglaubwürdigkeit des Kindes – das Muster ist im Kern völlig gleichförmig
bei allen Missbrauchern (vgl. ebd.).
Allerdings wird von dieser Gruppe von Missbrauchern behauptet, sie könnten sich besonders
gut in Kinder einfühlen, da sie gewissermaßen auf der gleichen Entwicklungsstufe wie diese
„hängen geblieben“ seien und sich eigentlich nur mit Kindern wohlfühlten (vgl. Bundschuh
2003). Diese Erklärung mag wieder zum Rechtfertigungsspektrum gehören, denn würde die
Aussage der hohen Einfühlsamkeit zutreffen, würden diese Männer sicher keine Kinder
missbrauchen. Tatsache ist allerdings, dass diese Täter eine besonders gute Tarnung dem
Umfeld gegenüber haben, das leicht davon zu überzeugen ist, dass dieser so kinderliebe
Mann niemals eine Gefahr für Kinder darstellen würde. Er genießt daher sogar besonderes
Vertrauen und kann sich innerhalb des institutionellen Umfeldes quasi perfekt bewegen –
eine besondere Schwierigkeit für Fachkräfte, in Institutionen der Betreuung von Kindern und
Jugendlichen deren Schutz zu gewährleisten. Auch im Kontakt mit den Kindern selbst kann
dieser Tätertyp leicht deren Vertrauen gewinnen, da er sie scheinbar versteht, Interesse an
ihnen zeigt, sich fürsorglich gibt, ihnen zuhört und sich auf ihre Ebene zu begeben scheint.
So jedenfalls stellen sich die Täter selber dar: „Ich habe im Moment einen neunjährigen
Freund. Da läuft nichts Sexuelles. Aber wenn wir zusammen sind, ist er unheimlich auf mich
konzentriert. So einen intensiven Blick habe ich bisher kaum erlebt. Mit dem kann ich stundenlang
zusammensitzen und über irgendwelche Belanglosigkeiten reden, weder ihm noch
mir wird das langweilig“ (zit. bei Stöckel 1998, S. 71). So behaupten denn auch viele „Pädophile“,
dass für sie die Freundschaft im Mittelpunkt ihrer Beziehung zum Kind stehe. Scheinbar
wenden sie weder physische Gewalt an noch setzen sie Drohungen ein, um an ihr Ziel
zu kommen: die sexuelle Benutzung des Kindes. Diese Täter gehen subtiler vor und spielen
ihre psychische und strukturelle Macht voll aus.
http://www.anita-heiliger.de/htm/Art.%2 ... philie.pdf