Ein Mann als Kleinkindererzieher?
Verfasst: 02.07.2011, 08:53
Eine lesbische Pfarrerin? Das geht. Ein Mann als Kleinkindererzieher? Das ist schwierig. Ein Bericht gegen das Klischee.
von Guy Huracek
Samuel Ernst* ruft mehrmals an. Er will sich sicher sein, dass weder sein Name noch der Ort seines Arbeitsplatzes im Artikel erwähnt wird. Dabei ist der junge Mann, dessen Aussehen wir nicht näher beschreiben dürfen, kein Spion, kein Verbrecher oder sonst was. Er ist in der Ausbildung als Kleinkindererzieher in einem grossen Kanton in der Schweiz. Dennoch: «Es könnten so erst recht Gerüchte entstehen. Ich habe Angst, dass ich meine Lehrstelle verliere», sagt Samuel.
Der Anteil der Männer, die sich zum Fachmann Kinder- oder Behindertenbetreuung ausbilden lassen, liegt unter zehn Prozent. Die Geschäftsleiterin des Verbandes der Kindertagesstätten Schweiz sagt, Kindertagesstätten, die Männer beschäftigten, seien sehr beliebt. «Die Männer werden sowohl von den Eltern und den Kindern, aber auch von den Teamkolleginnen geschätzt.» Männer bringen andere Themen und Ideen mit und leben ein anderes Rollenbild vor. Gerade für Buben könne dies für die Identitätsbildung wichtig sein.
Doch Samuel erlebte dies anders: Er erinnert sich an die Infoveranstaltung vor rund zwei Jahren für den Beruf des Kleinkindererziehers. «Als ich dort auftauchte, starrten mich alle an», erzählt er. Eine Pädagogin sei auf ihn zugekommen und habe ihm gesagt, dass sie seine Wahl sehr mutig finde. «Aber ich rate es ihnen ab, denn sie werden es in diesem Beruf schwierig haben.» Die Pädagogin hatte recht. Samuel suchte fast zwei Jahre lang eine Lehrstelle, obwohl er mit der Matura und zahlreichen Praktika im Sozialbereich sehr gute Qualifikationen aufweist. «Eine Verwandte setzte sich schliesslich für mich ein. Ohne Vitamin B hätte es nicht geklappt», so Samuel.
Jeglichen Körperkontakt vermeiden
Die erste Arbeitswoche war für Samuel besonders unangenehm. «Als mich die Eltern sahen, waren sie verunsichert.» Einige Eltern wollten sogar ihre Kinder nicht mehr in den Kindergarten bringen. Die Telefonleitungen liefen heiss, die Leiterin des Kindergartens wiederholte immer wieder die gleichen Sätze: «Da müssen sie keine Angst haben. Ihre Kinder sind bei Samuel sicher. Nein, er ist nicht allein mit ihnen.» Die Verunsicherung legte sich erst nach zwei Monaten, als die Schulleitung den Eltern Folgendes schriftlich garantierte:
– Samuel arbeitet immer in Begleitung einer weiblichen Lehrperson.
– Er wird den Kindern nicht die Windeln wechseln und mit ihnen nicht auf die Toilette gehen.
– Beim Spielen vermeidet er jeglichen Körperkontakt.
«Als ich den ‹Samichlaus› spielte, durfte ich nicht einmal ein Kind auf den Schoss nehmen», erzählt Samuel. Die Kinder hätten sich auf einen kleinen Stuhl neben ihm setzen müssen, wenn sie sich ein Geschenk von ihm wünschten.
Mittlerweile hat sich Samuel an die skeptischen Blicke der Eltern gewöhnt. «Ich gehe auf verunsicherte Eltern zu und spreche offen mit ihnen über ihre Ängste. Die meisten vertrauen mir jetzt.» Offen bleibt die Frage, wie die Situation in einem Jahr aussieht. Wenn andere Eltern neue Kinder in die Tagessstätte bringen.
Während wir Samuel einen Tag lang bei seiner Arbeit besuchten, sprachen wir mit einigen Eltern. Die meisten fanden es gut, wenn Kinder mehr männliche Bezugspersonen hätten. Aber: «Bei einem Mann, der Kinder betreut, hat man schnell einen Verdacht», sagte eine junge Mutter, die ihre Tochter an der Hand hielt. Als sie von unseren journalistischen Absichten hörte, beendete sie abrupt das Gespräch. Ein Vater, der das Gespräch verfolgte, kam auf uns zu und brachte es auf den Punkt: «Bei all den Medienberichten über Vergewaltiger und Pädophile ist es kein Wunder, wenn die Leute Angst haben.»
Offener fürs Gespräch zeigte sich hingegen eine Betreuerin. Um Samuel zu schützen, erwähnen wir auch ihren Namen nicht. Bei einem Kaffee erzählte sie, dass vor allem die Männer Angst vor pädophilen Kindergärtnern hätten. «Die meisten Männer können es nicht verstehen, dass ein Mann Kindergärtner werden will. Sie denken dann, er sei schwul oder pädophil. Die Frauen sind da weniger skeptisch.»
Sind die Männer schuld, dass Männer in einigen Frauenberufen diskriminiert werden? In den Medien häufen sich seit Wochen Berichte über pädophile Heimleiter und Priester. Und die meisten Menschen würden, wenn sie von einem schwulen Pfarrer hören, von einem Pädophilen ausgehen. Doch was würden sie über eine lesbische Pfarrerin denken?
http://www.maennerzeitung.ch/artikel.php?id=42
von Guy Huracek
Samuel Ernst* ruft mehrmals an. Er will sich sicher sein, dass weder sein Name noch der Ort seines Arbeitsplatzes im Artikel erwähnt wird. Dabei ist der junge Mann, dessen Aussehen wir nicht näher beschreiben dürfen, kein Spion, kein Verbrecher oder sonst was. Er ist in der Ausbildung als Kleinkindererzieher in einem grossen Kanton in der Schweiz. Dennoch: «Es könnten so erst recht Gerüchte entstehen. Ich habe Angst, dass ich meine Lehrstelle verliere», sagt Samuel.
Der Anteil der Männer, die sich zum Fachmann Kinder- oder Behindertenbetreuung ausbilden lassen, liegt unter zehn Prozent. Die Geschäftsleiterin des Verbandes der Kindertagesstätten Schweiz sagt, Kindertagesstätten, die Männer beschäftigten, seien sehr beliebt. «Die Männer werden sowohl von den Eltern und den Kindern, aber auch von den Teamkolleginnen geschätzt.» Männer bringen andere Themen und Ideen mit und leben ein anderes Rollenbild vor. Gerade für Buben könne dies für die Identitätsbildung wichtig sein.
Doch Samuel erlebte dies anders: Er erinnert sich an die Infoveranstaltung vor rund zwei Jahren für den Beruf des Kleinkindererziehers. «Als ich dort auftauchte, starrten mich alle an», erzählt er. Eine Pädagogin sei auf ihn zugekommen und habe ihm gesagt, dass sie seine Wahl sehr mutig finde. «Aber ich rate es ihnen ab, denn sie werden es in diesem Beruf schwierig haben.» Die Pädagogin hatte recht. Samuel suchte fast zwei Jahre lang eine Lehrstelle, obwohl er mit der Matura und zahlreichen Praktika im Sozialbereich sehr gute Qualifikationen aufweist. «Eine Verwandte setzte sich schliesslich für mich ein. Ohne Vitamin B hätte es nicht geklappt», so Samuel.
Jeglichen Körperkontakt vermeiden
Die erste Arbeitswoche war für Samuel besonders unangenehm. «Als mich die Eltern sahen, waren sie verunsichert.» Einige Eltern wollten sogar ihre Kinder nicht mehr in den Kindergarten bringen. Die Telefonleitungen liefen heiss, die Leiterin des Kindergartens wiederholte immer wieder die gleichen Sätze: «Da müssen sie keine Angst haben. Ihre Kinder sind bei Samuel sicher. Nein, er ist nicht allein mit ihnen.» Die Verunsicherung legte sich erst nach zwei Monaten, als die Schulleitung den Eltern Folgendes schriftlich garantierte:
– Samuel arbeitet immer in Begleitung einer weiblichen Lehrperson.
– Er wird den Kindern nicht die Windeln wechseln und mit ihnen nicht auf die Toilette gehen.
– Beim Spielen vermeidet er jeglichen Körperkontakt.
«Als ich den ‹Samichlaus› spielte, durfte ich nicht einmal ein Kind auf den Schoss nehmen», erzählt Samuel. Die Kinder hätten sich auf einen kleinen Stuhl neben ihm setzen müssen, wenn sie sich ein Geschenk von ihm wünschten.
Mittlerweile hat sich Samuel an die skeptischen Blicke der Eltern gewöhnt. «Ich gehe auf verunsicherte Eltern zu und spreche offen mit ihnen über ihre Ängste. Die meisten vertrauen mir jetzt.» Offen bleibt die Frage, wie die Situation in einem Jahr aussieht. Wenn andere Eltern neue Kinder in die Tagessstätte bringen.
Während wir Samuel einen Tag lang bei seiner Arbeit besuchten, sprachen wir mit einigen Eltern. Die meisten fanden es gut, wenn Kinder mehr männliche Bezugspersonen hätten. Aber: «Bei einem Mann, der Kinder betreut, hat man schnell einen Verdacht», sagte eine junge Mutter, die ihre Tochter an der Hand hielt. Als sie von unseren journalistischen Absichten hörte, beendete sie abrupt das Gespräch. Ein Vater, der das Gespräch verfolgte, kam auf uns zu und brachte es auf den Punkt: «Bei all den Medienberichten über Vergewaltiger und Pädophile ist es kein Wunder, wenn die Leute Angst haben.»
Offener fürs Gespräch zeigte sich hingegen eine Betreuerin. Um Samuel zu schützen, erwähnen wir auch ihren Namen nicht. Bei einem Kaffee erzählte sie, dass vor allem die Männer Angst vor pädophilen Kindergärtnern hätten. «Die meisten Männer können es nicht verstehen, dass ein Mann Kindergärtner werden will. Sie denken dann, er sei schwul oder pädophil. Die Frauen sind da weniger skeptisch.»
Sind die Männer schuld, dass Männer in einigen Frauenberufen diskriminiert werden? In den Medien häufen sich seit Wochen Berichte über pädophile Heimleiter und Priester. Und die meisten Menschen würden, wenn sie von einem schwulen Pfarrer hören, von einem Pädophilen ausgehen. Doch was würden sie über eine lesbische Pfarrerin denken?
http://www.maennerzeitung.ch/artikel.php?id=42