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torres
Beiträge: 512
Registriert: 10.10.2008, 19:35

Opferjustiz und Inkonsequenz

Beitrag von torres »

Die Philosophen hier bekommen jetzt mal was zum Knabbern.

Also: wenn mal wieder irgendwo irgendein schweres Verbrechen (gernstens genommen: Sex in Kombination mit Kindern) passiert ist, rollen die üblichen Medienberichte an, gefolgt von den ebenfalls üblichen, im Großen und Ganzen schablonenhaft ablaufenden Diskussionen, die sich in Zeiten standardgewordener Webzweinulligkeit in Form von länglichen Kommentarsektionen unter jedem Artikel von jeder Nachrichtenwebseite finden lassen, die was auf sich hält.

Sehr schnell wird dann immer die Opferjustiz bemüht, um die "Verharmloser" in ihre Schranken zu weisen: "jaaa, jetzt redste daher, aber stell dir mal vor, das wär DEIN Kind blablupp blablupp rhabarberrhabarber". Ich weise dann, sofern ich mich an sowas beteilige, auf die Tatsache hin, daß derartiges "Opferjustiz"-Denken aus gutem Grund in einem zivilisierten Rechtssystem nichts zu suchen hat und dafür der Begriff "Befangenheit" existiert - so sehr man emotional vielleicht die Gefühle eines auf Revanche und brutalstmögliche "Gerechtigkeit" brennenden Gewaltopfers bzw. dessen Angehöriger (...Besitzer? Denken manche Eltern vllt unbewußt "mein (genetisches) Eigentum wurde geschändet"? Nur ein Gedanke nebenbei...) nachvollziehen kann (und welcher GL könte das nicht... denkt halt mal dran, wie ihr euch fühlt, wenn eure kleine Freundin vergewaltigt worden wäre.... --> auch hier wieder: "Eigentum"?), so wenig kann diese - ansozialisierte - Emotionalität allgemeine Grundlage eines Rechtssystems sein, das länger als ein paar Tage bestehen soll, ohne zu implodieren.

Der Inhalt dieses grausamen Schachtelsatzes, nochmal in kurz: Opfer haben beim Verteilen von Strafe wenig zu melden, und das ist auch gut so.

Im Falle von nach Lynchjustiz geierndem Mobvolk wird das hier auch kaum jemand anders sehen, schätze ich.

Nun will aber mal ein Opfer (Opfer und nicht "Opfer", solange davon auszugehen ist, daß es sich tatsächlich um eine Vergewaltigung handelte und nicht um einvernehmlichen "statutory rape"), daß dem Täter nicht HÄRTERE Strafe zugefügt wird, sondern WENIGER bz. GAR KEINE. So geschehen jetzt im Fall Polanski.
Wenn man jetzt auf diese Forderung hinweist und sagt: nun ja, wenn schon das Opfer selber verlangt, den Täter in Ruhe zu lassen - wer hätte mehr Recht, so etwas zu fordern, wie kann man strafen, wenn nichtmal das Opfer der Tat diese Bestrafung will? ...wenn man also im einen Fall (Lynchmob) GEGEN eine Justiz argumentiert, die Opfer-Forderungen stark berücksichtigt, aber im anderen Fall (Polanski) FÜR eine derartige Justiz - verfängt man sich dann nicht in einen Widerspruch, handelt inkonsequent?

Denn im Fall Polanski werden die meisten hier dann doch eher wollen, daß den Forderungen des Opfers nachgegeben wird.

Ich denke übrigens, daß man damit nicht zwangsläufig inkonsequent ist - man orientiert sich nur nicht an einer bereits etablierten "wer A sagt muß auch B sagen"-Struktur, sondern stellt sozusagen eine neue auf. Nur - würde diese auch funktionieren, wenn man sie über die ganz persönliche Moral hinaus auf ein landesweites Rechtssystem anwenden würde? Wenn man also hochoffiziell festlegt: geht es um härtere Bestrafung, dann soll das Opfer wenig Einfluß haben, geht es aber um geringere Strafen bzw. um Begnadigung, dann soll dem Opfer sehr großes Mitspracherecht eingeräumt werden? Zumindest in so eindeutigen Fällen wie diesem, wo nach über 30 Jahren nicht mehr davon ausgegangen werden kann, daß das Opfer auf irgendeine Weise unter Druck gesetzt wird... genau letzteres wäre nämlich das große Problem bei einer Justiz, die wie beschrieben vorgehen würde. Ohne detaillierte Einzelfallprüfung ginge da gar nichts.

Heißt also nach wie vor: wer sich für Polanski einsetzt mit der Begründung "das Opfer spricht auch für ihn", bewegt sich auf dünnem Eis. (andere Ansatzpunkte sind das Thema "Verjährung ja oder nein" sowie "warum sollte ein Promi besser behandelt werden als ein stinknormaler Kinderschänder", aber das sind halt andere Bahnhöfe).
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Cocolinth
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Re: Opferjustiz und Inkonsequenz

Beitrag von Cocolinth »

Die Frage solltest Du lieber an jene richten, die sich sonst als Anwälte der Opfer aufspielen. Die aber, sobald es seinem Täter vergibt oder ihn gar in Schutz nimmt, bereit sind auch völlig gegen den Willen des Opfers zu handeln -- obwohl sie i.d.R. genau dies ja dem Täter vorwerfen.
Sex mit Kindern ab 14 ist (in D) per se legal:
  • „Der Gesetzgeber traut diesen zu, über ihre Sexualität in einem gewissen Umfang selbst zu bestimmen. […] eine pauschale Strafbarkeit besteht somit nicht. [Nur] In besonderen Fällen ist […] der Sex […] unter Strafe gestellt.“
(Thx @ ChrisGL&Anwalt)
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Ovid
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Re: Opferjustiz und Inkonsequenz

Beitrag von Ovid »

Ergänzend, erläuternd:

Jede Vorstellung einer widerlichen und schrecklichen Tat hat eine lange mediale und sozialgesellschaftliche Geschichte und rechtfertigt schon lange überzogene Reaktionen. Der verzweifelte Vater, die schockierten Nachbarn, die selbstmordgefährdeten Freunde. In Verzweiflungssituationen schliesst man automatisch immer, dass etwas nicht funktioniert hat. Irgendetwas muss versagt haben, und sei es beispielsweise das Rechtssystem mit zu laschen Strafen.

Wie wir schon lange festgestellt haben hat besonders der sexuelle Kindesmissbrauch durch die breite Fächerung der justizial erfassten Situationen, da natürlich ein multivalentes Erlebnispotential für das "Opfer".
Allerdings ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema schon unwiderbringlich besetzt mit der üblichen Schreckenstat. Eben da wo die Gemüter kochen, wo fast jede verzweifelte Reaktion oder Meinung gerechtfertigt ist. Wie wirkt es denn da, wenn einige sich dagegen stellen und versuchen die Sache irgendwie zu differenzieren, zu versachlichen? Irgendwie auch noch Verständnis für den "Täter" aufzubringen, oder, dass möglicherweise kein Unrecht geschah?

Betrachtet wird also immer die Tat an sich und rückwirkend auch verglichen mit allen anderen Taten derselben Schublade, ohne zu merken, dass es eben doch eklatante Unterschiede geben kann.
Was das Opfer zu sagen hat, wird also dann automatisch dahingehend interpretiert, dass es entweder eine Art Stockholm-Syndrom mit dem Täter erleidet oder, dass es überdurchschnittliche Verarbeitungspotentiale für diese schlimme Tat innehat. Ein "glücklicher" Sonderfall für das Opfer allerhöchstens, aber vom Täter aus immer noch bestialisch grausam.

Solange alle "Taten" von angenehm einfach-konsensual bis grausam gegen den Willen in einem Gesetz subsummiert werden, kann dies gesamtgesellschaftlich nur mit einer einseitigen Vorstellung belegt werden.
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Annika
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Re: Opferjustiz und Inkonsequenz

Beitrag von Annika »

Ich sehe hier keine Problematik
Dumm fickt gut. Noch Fragen ??
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