Sairen hat geschrieben:Aber sie [Behinderte] haben kein schönes Leben.
Wie egoistisch!
Wer denkst du, wer du bist, über anderer Menschen Leben zu urteilen!
Was immer wieder übersehen wird in Diskussionen über die Abtreibung (sie sind meistens "reduktionistisch"):
Es geht nicht nur um das Leben des Fötus/Embryos. Es geht (oder sollte gehen) auch um das
Leben der Mutter.
Die Ankunft eines schwerstbehinderten Kindes wirft das Leben der Mutter völlig aus seinen Bahnen, vermichtet all ihre Zukunftspläne, Wünsche, Hoffnungen, Möglichkeiten. Es verändert den Tagesablauf radikal und unausweichlich, schmeisst ihr ganzes leben um. Sie wird fortan nur noch die Herumschieberin, Herumtragerin, Fütterin, Trockenlegerin, In-den Schlaf-Wiegerin, Anzieherin, Umzieherin dieses Lebewesens sein, bis zum völligen physischen und psychischen Zusammenbruch. Irgendeiner dieser hochstehenden Herren Ethiker wird ihr kaum zu Hilfe kommen.
Mütter, die es heroisch versucht haben, sind meistens dort gelandet - beim Zusammenbruch. Ich habe Zeugnisse von Frauen gelesen, die mit diesem Schicksal geschlagen wurden. Frauen, die total zusammengebrochen sind, die medizinische und institutionelle Hilfe benötigten, die i-wo hochgepäppelt werden mussten, damit sie nachher wieder zurück in ihr aussichtsloses Dasein als Anhängsel dieses Organismus konnten..
Die Ethik wird meistens von Männern diskutiert, und polarisiert sich entsprechend zu radikalen Positinen hin - angefangen von der von kath. Kardinälen vertretenen Position, dass schon in der Blastula die Seele drin ist, bis hinüber zu neo-buddhistischen "Alles-Leben-ist-gut"-Verkündern.
Vergessen geht die Tatsache, dass mehr oder weniger immer auch der Lebenswert, die Lebbarkeit, und das
Recht auf Leben der Mutter mit der Frage nach dem Recht auf Leben des Fötus verbunden sind.
Man kann die Frage nach der Geltung des Lebens eines Ungeborenen ehrlicherweise und realistischerweise nicht losgekoppelt von der Frage nach dem Recht auf Leben der Mutter abhandeln. Und dieses Leben muss mehr als biologischen Definitionskriterien entsprechen können.
Mutter und Kind sind, wenn auch organisch früh abgekoppelt bzw. nur mittelbar verbunden, auch nach der Geburt noch weithin eine interdependente Einheit und gehen als solche für Jahre aneinander gebunden durchs Leben. Adoptionen mögen eine Lösung sein. Für schwerstbeeinträchtigte Kinder kommen sie nicht in Frage. Die werden dann aus "humanen" Erwägungen (und vor allem aus sich im Alltag ergebendem Handlunsgzwang) in ein Heim abgeschoben. Wo sich meist sehr schnell rotierendes Personal ihrer annimmt.
Ich mag Abtreibungen nicht. Auf die leichte Schulter kann man sie nie nehmen. Es fällt auch den meisten Frauen nicht leicht. Aber als meine Frau schwanger war, haben wir den Fruchtwassertest gemacht. Hätten wir ein schwerstgeschädigtes Kind bekommen, wäre das Leben meiner Frau und mein eigenes ruiniert gewesen.
Vergessen wir ob all den inzwischen hochgetriebenen ethischen Positionen nicht, wie die Probleme früher gelöst wurden: selbst Trisomie-Fälle, die heute sogar als bildungsfähig gelten, dämmerten früher in der Gosse oder in einem Abstellraum dahin, bis sie wegen Unterversorgung einen nicht näher untersuchten und oft verschwiegenen Tod starben, nach einem kurzen Dahinvegetieren. Verbreitet war auch die Lösung, nicht lebensfähig scheinende Kinder NACH der Geburt zu töten. Die Menschheit konnte offenbar während Jahrtausenden ihre kollektive Ueberlebensfähigkeit nur so erhalten. Tiere lassen anomale Nachkommenschaft sich selber.
Wir sind nicht diese gewissenlosen Unmenschen, und unsere Gesellschaft hat nicht diese Härte und Kälte und Egoismus, den Moralisten ihr gern vorwerfen. Wir tun sehr vieles, dort wo es sich machen lässt, und dank steigendem Sozialprodukt lässt sich auch in Sachen Pflege immer mehr machen.
Die Kinder landen aber nicht sofort nach der Geburt in diesen Heimen. erst plackt sich mal die schwerst belastete und bedrückte Mutter, für die alles zusammengebrochen ist, mit einem solchen Kind herum. Den Mann, falls vorgeburtlich vorhanden, kann sie meist schon bald vergessen, der hält es schlicht nicht aus. Die Mutter eigentlich auch nicht - aber sie muss einfach.
Und ob man es einer schwangeren Frau zumuten kann, ein Kind sozusagen "zuhanden" eines Heims zu gebären, das wäre auch noch zu fragen.
Es gibt auch eine seelenlose, eiskalte Ethik, eine die ohne Bedenken der Folgen für eine Reinheit der Lösung kämpft, die i-wie auch etwas Faschistisches an sich hat.
Die Vertreter der inzwischen seit vielen Jahren geltenden und praktizierten Lösung können für sich in Anspruch nehmen, dass die Zahl der Abtreibungen eher rückläufig ist, und erst recht, dass die Hinterhof- und Toilettengeburten und die Abtreibungen in der Küche schon lange nahe bei null verharren, sowie auch dass die institutionellen Lösungen für behinderte Kinder ausgebaut wurden. Denn man hat nie eines gegen das andere ausgespielt. Wenn ich mir hingegen so diese Anti-Abtreibungs-Fundis ansehe, so scheint mir, dass von vielen von diesen nicht viel mehr zu erwarten ist als ein unablässiges Repetieren ihrer allein-gültigen Wahrheit, wenn nicht gar gelegentlich (rechts-)extremistische Ausfälle und Violenz.