Rückkehr der Moral oder: Jugendkult in der Gesellschaft
Verfasst: 26.02.2014, 00:05
aus dem Cicero:
Florian Mildenberger ist deutscher Medizinhistoriker und seit 2011 außerordentlicher Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Neben wissenschafts- und medizinhistorischen Studien veröffentlichte er eine Studie über das Leben des pädosexuellen Aktivisten Peter Schult.
Cicero Online: Herr Mildenberger, Sie haben ein Buch über Pädophilie im öffentlichen Diskurs geschrieben. Verfolgen Sie die Edathy-Affäre?
Florian Mildenberger: Ja, und dazu fällt mir vor allem eins ein: Herr Edathy hätte es eigentlich einfacher haben können. Anstatt solche Fotos zu bestellen und dafür auch noch Geld auszugeben, hätte er in die Neue Nationalgalerie gehen und sich die Bilder von den ringenden Knaben anschauen können, die dort in zwei mal vier Metern an einer Leinwand hängen.
Nach dem Strafrecht sind Fotos von nackten Kindern erst dann strafbar, wenn sie „geschlechtsbetonte Posen“ (Anm. der Red.: juristische Kategorie 1) einnehmen. Dies war auf den von Edathy bestellten Bildern nicht der Fall (Kategorie 2), weshalb ihm rein strafrechtlich nichts vorzuwerfen wäre. In der aktuellen Debatte ist daher vor allem eine Renaissance der Moral erkennbar.
Eine der großen Errungenschaften der Säkularisierung war, dass der Begriff der Moral aus dem Diskurs herausfliegt. Dass er heute wieder zurückkommt, liegt auch daran, dass diejenigen, die diesen Begriff bekämpft haben, also die Frauen- und die Homosexuellenbewegungen in ihren Home-Ehen-Paradiesen gefangen sind. Sie glauben, sie haben alles erreicht und sagen nichts mehr dazu.
Was folgt daraus?
Ich sehe in der Rückkehr der Moral vor allem eine Gefahr. Denn Moral ist überkommen und hat im 21. Jahrhundert nichts mehr verloren. Denn wenn diese Moral irgendwas bedeuten würde, müsste man auch weitergehen und sagen: Was sind etwa die Ursachen von Kinderprostitution?
Viele sehen diese vor allem in der heutigen Allgegenwart von Sexualität im Alltag.
Außerdem herrscht in unserer Gesellschaft ein Jugendkult ohne gleichen. Alles Jugendliche wird überhöht. Aber offensichtlich muss es asexuell sein, so wie etwa die arischen Heldengestalten im Dritten Reich. Ich war mal im Rahmen eines Forschungsprojekts auf der Pornomesse Venus. Die Menschen dort haben sich fast alle so jugendlich wie möglich, ja fast schon kindlich verhalten. Und das völlig legal.
Ein Buch wie Thomas Manns „Der Tod in Venedig“, in der es um die platonische Liebe eines alten Mannes zu einem kleinen Jungen geht, würde heute vermutlich eine heftige Kontroverse auslösen. Wie wurde das Buch damals rezipiert?
Es war damals ein Skandal. Denn es war die Zeit der totalen Pathologisierung, in der jegliches sexuelle Begehren sofort als krankhaft galt. Außerdem sprach man über solche Themen so gut wie gar nicht. Auch die sexuelle Emanzipation war wenig fortgeschritten und Homosexualität wurde skandalisiert. Daher lässt es sich mit heute nur schwer vergleichen. Es war auch die Zeit eines sehr starken Obrigkeitsstaates.
Heute scheint das Bedürfnis nach einem solchen Obrigkeitsstaat wieder gewachsen zu sein. Dies zeigen vor allem die archaischen Bestrafungsreflexe. Der Bundesjustizminister Heiko Maas hat vorgeschlagen, künftig den gewerbsmäßigen Handel von Nacktbildern von Kindern grundsätzlich zu bestrafen.
Wunderbar, dann kann Herr Maas gleich den Museumsshop in der Neuen Nationalgalerie dicht machen.
Immerhin gäbe es dann diesen juristischen Graubereich nicht mehr, der zwischen Kategorie 1 und 2 unterscheidet.
Ich finde es erstaunlich, wenn Sozialdemokraten, die in ihrer Geschichte am meisten unter der Vermengung von Moral und Ordnungspolitik gelitten haben, versuchen, ihre Gegner rechts zu überholen. Sowohl auf politischer als auch auf kirchlicher Ebene. Es sind genau diejenigen, die sich die Rosinen der Moralpolitik herauspicken, aber den Rest einfach ignorieren. Der eigentliche Skandal ist, dass die Leute, die kein Problem damit hatten, Familien in das Hartz-IV-Unglück zu schicken, jetzt plötzlich mit dem Schutz der Kinder daher kommen.
Die aus der gewachsenen Diskrepanz zwischen Moral und Strafrecht resultierende Frage ist doch: Wo hört die angemessene Darstellung von Kinderfotos auf? Ist ein Foto, das Kinder in Badekleidung abbildet, schon Pornografie?
Das Problem ist auch folgendes: Es gibt in der Pornoindustrie einen breiten Markt für so genannte Kindfrauen, also Frauen, die mit einer scheinbaren Minderjährigkeit werben, aber eigentlich längst Mitte 20 sind. Gerade in amerikanischen Pornos sind sie beliebt. Will man das auch verbieten? Es ist nämlich sehr schwer zu unterscheiden, vor allem am Bildschirm.
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weiterlesen bei QuAlle: http://www.cicero.de/salon/paedophilie- ... kult/57096
Florian Mildenberger ist deutscher Medizinhistoriker und seit 2011 außerordentlicher Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Neben wissenschafts- und medizinhistorischen Studien veröffentlichte er eine Studie über das Leben des pädosexuellen Aktivisten Peter Schult.
Cicero Online: Herr Mildenberger, Sie haben ein Buch über Pädophilie im öffentlichen Diskurs geschrieben. Verfolgen Sie die Edathy-Affäre?
Florian Mildenberger: Ja, und dazu fällt mir vor allem eins ein: Herr Edathy hätte es eigentlich einfacher haben können. Anstatt solche Fotos zu bestellen und dafür auch noch Geld auszugeben, hätte er in die Neue Nationalgalerie gehen und sich die Bilder von den ringenden Knaben anschauen können, die dort in zwei mal vier Metern an einer Leinwand hängen.
Nach dem Strafrecht sind Fotos von nackten Kindern erst dann strafbar, wenn sie „geschlechtsbetonte Posen“ (Anm. der Red.: juristische Kategorie 1) einnehmen. Dies war auf den von Edathy bestellten Bildern nicht der Fall (Kategorie 2), weshalb ihm rein strafrechtlich nichts vorzuwerfen wäre. In der aktuellen Debatte ist daher vor allem eine Renaissance der Moral erkennbar.
Eine der großen Errungenschaften der Säkularisierung war, dass der Begriff der Moral aus dem Diskurs herausfliegt. Dass er heute wieder zurückkommt, liegt auch daran, dass diejenigen, die diesen Begriff bekämpft haben, also die Frauen- und die Homosexuellenbewegungen in ihren Home-Ehen-Paradiesen gefangen sind. Sie glauben, sie haben alles erreicht und sagen nichts mehr dazu.
Was folgt daraus?
Ich sehe in der Rückkehr der Moral vor allem eine Gefahr. Denn Moral ist überkommen und hat im 21. Jahrhundert nichts mehr verloren. Denn wenn diese Moral irgendwas bedeuten würde, müsste man auch weitergehen und sagen: Was sind etwa die Ursachen von Kinderprostitution?
Viele sehen diese vor allem in der heutigen Allgegenwart von Sexualität im Alltag.
Außerdem herrscht in unserer Gesellschaft ein Jugendkult ohne gleichen. Alles Jugendliche wird überhöht. Aber offensichtlich muss es asexuell sein, so wie etwa die arischen Heldengestalten im Dritten Reich. Ich war mal im Rahmen eines Forschungsprojekts auf der Pornomesse Venus. Die Menschen dort haben sich fast alle so jugendlich wie möglich, ja fast schon kindlich verhalten. Und das völlig legal.
Ein Buch wie Thomas Manns „Der Tod in Venedig“, in der es um die platonische Liebe eines alten Mannes zu einem kleinen Jungen geht, würde heute vermutlich eine heftige Kontroverse auslösen. Wie wurde das Buch damals rezipiert?
Es war damals ein Skandal. Denn es war die Zeit der totalen Pathologisierung, in der jegliches sexuelle Begehren sofort als krankhaft galt. Außerdem sprach man über solche Themen so gut wie gar nicht. Auch die sexuelle Emanzipation war wenig fortgeschritten und Homosexualität wurde skandalisiert. Daher lässt es sich mit heute nur schwer vergleichen. Es war auch die Zeit eines sehr starken Obrigkeitsstaates.
Heute scheint das Bedürfnis nach einem solchen Obrigkeitsstaat wieder gewachsen zu sein. Dies zeigen vor allem die archaischen Bestrafungsreflexe. Der Bundesjustizminister Heiko Maas hat vorgeschlagen, künftig den gewerbsmäßigen Handel von Nacktbildern von Kindern grundsätzlich zu bestrafen.
Wunderbar, dann kann Herr Maas gleich den Museumsshop in der Neuen Nationalgalerie dicht machen.
Immerhin gäbe es dann diesen juristischen Graubereich nicht mehr, der zwischen Kategorie 1 und 2 unterscheidet.
Ich finde es erstaunlich, wenn Sozialdemokraten, die in ihrer Geschichte am meisten unter der Vermengung von Moral und Ordnungspolitik gelitten haben, versuchen, ihre Gegner rechts zu überholen. Sowohl auf politischer als auch auf kirchlicher Ebene. Es sind genau diejenigen, die sich die Rosinen der Moralpolitik herauspicken, aber den Rest einfach ignorieren. Der eigentliche Skandal ist, dass die Leute, die kein Problem damit hatten, Familien in das Hartz-IV-Unglück zu schicken, jetzt plötzlich mit dem Schutz der Kinder daher kommen.
Die aus der gewachsenen Diskrepanz zwischen Moral und Strafrecht resultierende Frage ist doch: Wo hört die angemessene Darstellung von Kinderfotos auf? Ist ein Foto, das Kinder in Badekleidung abbildet, schon Pornografie?
Das Problem ist auch folgendes: Es gibt in der Pornoindustrie einen breiten Markt für so genannte Kindfrauen, also Frauen, die mit einer scheinbaren Minderjährigkeit werben, aber eigentlich längst Mitte 20 sind. Gerade in amerikanischen Pornos sind sie beliebt. Will man das auch verbieten? Es ist nämlich sehr schwer zu unterscheiden, vor allem am Bildschirm.
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