Die Jagd
Verfasst: 28.03.2013, 22:31
Thread-Titel korrigiert. (Alt: "Die Treibjagd"). GLF-Mo
Der Regisseur erzählte in einem Interview von seinem reserviert höflichen und doch sturen Protagonisten. Und als dieser sich in einer Szene ungestüm gegen seine Hetzer wehrte klatschte überraschend das ganze Publikum.
Das hat mich überzeugt
Hier eine Rezension von www.fr-online.de vom 27.03.13
Der Erzieher Lukas hat es nicht gerade leicht. Seine Frau hat sich von ihm unter Umständen getrennt, die seinen Hund noch immer kläffen lassen, sobald jemand nur ihren Namen ausspricht. Die frühere Anstellung als Lehrer hat er verloren, weil die ganze Schule schloss; nun hat er soeben als Erzieher in einem Kindergarten begonnen. Zu den Kindern ist der warmherzige Mann sehr nett, was ihm alsbald zum Verhängnis wird.
Besonders nett ist er zu der Tochter seines besten Freundes, eines Jagdgefährten. Das Kind leidet unter häufigem Streit zu Hause und macht einen einsamen Eindruck. Es verirrt sich leicht auf dem Nachhauseweg, weil es glaubt, es bringe Unglück, auf die Ritzen zwischen den Gehwegplatten zu treten. Deshalb schaut das Mädchen nur nach unten. Statt ihr das auszureden, nimmt es Lucas an die Hand und bringt es arbeitsteilig nach Hause: Das Kind solle getrost nach unten gucken, er nach oben, so könne beiden nichts passieren. Mit solchem Verständnis gewinnt er die Liebe des Mädchens.
Hausverbot im Supermarkt
Als sie ihm eines Tage stürmisch auf den Mund küsst und ein rotes Spielzeugherz schenkt, wird Lukas die Sache unheimlich. Küssen solltest du nur deine Eltern, sagt er, und das Herz nimmt er gar nicht erst an. Schwerer Fehler! Verletzt dreht das Kind die Sache um und erzählt der Kindergartenleiterin, Lukas habe ihr das Herz zugesteckt. Und außerdem habe er einen hässlichen harten Pipimacher.
Nun nimmt die Sache ihren Lauf. Ein Psychologe wird hinzugezogen, der das Kind denkbar unkritisch befragt. Die Eltern werden behutsam von dem vermeintlichen Missbrauch benachrichtigt. Dann werden die übrigen Eltern gebeten, mit ihren Kindern vorsichtig über den Fall zu reden und nach ähnlichen Erfahrungen mit Lucas zu fahnden.
Vom vermeintlich Unfassbaren, einmal richtig ausgemalt, will niemand freiwillig wieder lassen. Der Film „Die Jagd“ macht klar, wie schnell man das Schlimmste annimmt, wenn es gilt, das Zarteste zu beschützen. Die Fama verbreitet sich in Windeseile in dem kleinen Dorf. Selbstverständlich wird Lukas entlassen. Im Supermarkt bekommt er Hausverbot. Als er auf dem Einkauf besteht, wird er zusammengeschlagen. Seinen Hund findet Lukas mit durchschnittener Kehle.
Für den Zuschauer steht Lukas Unschuld von Beginn an zweifelsfrei fest. Dass der Film trotzdem packend ist, liegt an der psychologischen Präzision, mit der der Unsinn des Mädchens sich zu einer psychotischen Menschenjagd entwickelt. Alles hat seine banale psychologische Erklärung. Vom „hässlichen Pipimacher“ hat das Kind erfahren, als sich Freunde des älteren Bruders Pornos aus dem Internet angucken. Als das Mädchen die Lügengeschichte zurücknehmen will, erschrocken über die Folgen für den geliebten Lukas, wollen die Eltern davon nichts mehr hören. Für sie ist klar, dass ihr Kind seine schrecklichen Erlebnisse einfach nur verdrängen möchte. Und Mikkelsens Lucas, so stark und stoisch er wirkt, ist ein ideales Opfer.
Mikkelsen ist einmal mehr fantastisch. Für die Rolle des Lukas erhielt er in Cannes den Darstellerpreis. Die Verletzung durch den Missbrauchsverdacht spielt er anfänglich mit dem minimalistischen Repertoire eines Apachen. So sanft der Kindergärtner ist, schlummert eine Männlichkeit in ihm, die für zwei ausreichen würde. In die männerferne Kindergartenwelt und die spezifisch dänische Gemütlichkeit überhaupt bringt er eine Art Animalität, die dem Film seine besondere Spannung einhaucht.
So erwachen in den Vätern die Tiere, die ihre Aufzucht schützen vor der Aggressivität ihrer Konkurrenten. Zu sprechen gibt es da nicht mehr viel, als der kollektive Verdacht seine fatale Dynamik gewinnt. Lucas trotzt. Und schlägt zurück.
Es geht um die Wahrheit
Immer mehr Kinder melden sich als missbraucht, weil sie in dem kollektiven Aufruhr nicht beiseite stellen wollen. Die Justiz kennt etliche solcher inquisitorischen Psychosen, wie sie sich etwa 1993 und 1997 bei den sogenannten Wormser Prozessen abspielten, als ein simples Scheidungsverfahren eine Lawine von Missbrauchsvorwürfen gegen 25 Angeklagte in Gang setzte. Bei allen musste sich die Staatsanwaltschaft am Ende entschuldigen. Manche der zu Unrecht Beschuldigten saßen 21 Monate im Gefängnis, eine 70-jährige Angeklagte starb in der Untersuchungshaft.
Zu Lukas Glück sprechen vor der Polizei alle Kinder von einem Keller als Tatort, den es in seinem Haus in Wahrheit gar nicht gibt. Das Dorf hindert das nicht, weiterhin an seine Schuld zu glauben. Höhepunkt des Films ist ein Weihnachtsgottesdienst, an dem teilzunehmen sich das verfemte Gemeindemitglied nicht nehmen lässt.
Thomas Vinterberg inszeniert das als spiegelverkehrte Ergänzung zu seinem berühmten Debüt „Das Fest“ 1998. Wurde dort ein Missbrauchstäter vor einer ungläubigen Festgesellschaft von seinem eigenen Sohn entlarvt, kämpft hier ein falsch Beschuldigter um seine Existenz. Um die Wahrheit geht es erneut, mit fast vergleichbarer Intensität.
Der Regisseur erzählte in einem Interview von seinem reserviert höflichen und doch sturen Protagonisten. Und als dieser sich in einer Szene ungestüm gegen seine Hetzer wehrte klatschte überraschend das ganze Publikum.
Das hat mich überzeugt
Hier eine Rezension von www.fr-online.de vom 27.03.13
Der Erzieher Lukas hat es nicht gerade leicht. Seine Frau hat sich von ihm unter Umständen getrennt, die seinen Hund noch immer kläffen lassen, sobald jemand nur ihren Namen ausspricht. Die frühere Anstellung als Lehrer hat er verloren, weil die ganze Schule schloss; nun hat er soeben als Erzieher in einem Kindergarten begonnen. Zu den Kindern ist der warmherzige Mann sehr nett, was ihm alsbald zum Verhängnis wird.
Besonders nett ist er zu der Tochter seines besten Freundes, eines Jagdgefährten. Das Kind leidet unter häufigem Streit zu Hause und macht einen einsamen Eindruck. Es verirrt sich leicht auf dem Nachhauseweg, weil es glaubt, es bringe Unglück, auf die Ritzen zwischen den Gehwegplatten zu treten. Deshalb schaut das Mädchen nur nach unten. Statt ihr das auszureden, nimmt es Lucas an die Hand und bringt es arbeitsteilig nach Hause: Das Kind solle getrost nach unten gucken, er nach oben, so könne beiden nichts passieren. Mit solchem Verständnis gewinnt er die Liebe des Mädchens.
Hausverbot im Supermarkt
Als sie ihm eines Tage stürmisch auf den Mund küsst und ein rotes Spielzeugherz schenkt, wird Lukas die Sache unheimlich. Küssen solltest du nur deine Eltern, sagt er, und das Herz nimmt er gar nicht erst an. Schwerer Fehler! Verletzt dreht das Kind die Sache um und erzählt der Kindergartenleiterin, Lukas habe ihr das Herz zugesteckt. Und außerdem habe er einen hässlichen harten Pipimacher.
Nun nimmt die Sache ihren Lauf. Ein Psychologe wird hinzugezogen, der das Kind denkbar unkritisch befragt. Die Eltern werden behutsam von dem vermeintlichen Missbrauch benachrichtigt. Dann werden die übrigen Eltern gebeten, mit ihren Kindern vorsichtig über den Fall zu reden und nach ähnlichen Erfahrungen mit Lucas zu fahnden.
Vom vermeintlich Unfassbaren, einmal richtig ausgemalt, will niemand freiwillig wieder lassen. Der Film „Die Jagd“ macht klar, wie schnell man das Schlimmste annimmt, wenn es gilt, das Zarteste zu beschützen. Die Fama verbreitet sich in Windeseile in dem kleinen Dorf. Selbstverständlich wird Lukas entlassen. Im Supermarkt bekommt er Hausverbot. Als er auf dem Einkauf besteht, wird er zusammengeschlagen. Seinen Hund findet Lukas mit durchschnittener Kehle.
Für den Zuschauer steht Lukas Unschuld von Beginn an zweifelsfrei fest. Dass der Film trotzdem packend ist, liegt an der psychologischen Präzision, mit der der Unsinn des Mädchens sich zu einer psychotischen Menschenjagd entwickelt. Alles hat seine banale psychologische Erklärung. Vom „hässlichen Pipimacher“ hat das Kind erfahren, als sich Freunde des älteren Bruders Pornos aus dem Internet angucken. Als das Mädchen die Lügengeschichte zurücknehmen will, erschrocken über die Folgen für den geliebten Lukas, wollen die Eltern davon nichts mehr hören. Für sie ist klar, dass ihr Kind seine schrecklichen Erlebnisse einfach nur verdrängen möchte. Und Mikkelsens Lucas, so stark und stoisch er wirkt, ist ein ideales Opfer.
Mikkelsen ist einmal mehr fantastisch. Für die Rolle des Lukas erhielt er in Cannes den Darstellerpreis. Die Verletzung durch den Missbrauchsverdacht spielt er anfänglich mit dem minimalistischen Repertoire eines Apachen. So sanft der Kindergärtner ist, schlummert eine Männlichkeit in ihm, die für zwei ausreichen würde. In die männerferne Kindergartenwelt und die spezifisch dänische Gemütlichkeit überhaupt bringt er eine Art Animalität, die dem Film seine besondere Spannung einhaucht.
So erwachen in den Vätern die Tiere, die ihre Aufzucht schützen vor der Aggressivität ihrer Konkurrenten. Zu sprechen gibt es da nicht mehr viel, als der kollektive Verdacht seine fatale Dynamik gewinnt. Lucas trotzt. Und schlägt zurück.
Es geht um die Wahrheit
Immer mehr Kinder melden sich als missbraucht, weil sie in dem kollektiven Aufruhr nicht beiseite stellen wollen. Die Justiz kennt etliche solcher inquisitorischen Psychosen, wie sie sich etwa 1993 und 1997 bei den sogenannten Wormser Prozessen abspielten, als ein simples Scheidungsverfahren eine Lawine von Missbrauchsvorwürfen gegen 25 Angeklagte in Gang setzte. Bei allen musste sich die Staatsanwaltschaft am Ende entschuldigen. Manche der zu Unrecht Beschuldigten saßen 21 Monate im Gefängnis, eine 70-jährige Angeklagte starb in der Untersuchungshaft.
Zu Lukas Glück sprechen vor der Polizei alle Kinder von einem Keller als Tatort, den es in seinem Haus in Wahrheit gar nicht gibt. Das Dorf hindert das nicht, weiterhin an seine Schuld zu glauben. Höhepunkt des Films ist ein Weihnachtsgottesdienst, an dem teilzunehmen sich das verfemte Gemeindemitglied nicht nehmen lässt.
Thomas Vinterberg inszeniert das als spiegelverkehrte Ergänzung zu seinem berühmten Debüt „Das Fest“ 1998. Wurde dort ein Missbrauchstäter vor einer ungläubigen Festgesellschaft von seinem eigenen Sohn entlarvt, kämpft hier ein falsch Beschuldigter um seine Existenz. Um die Wahrheit geht es erneut, mit fast vergleichbarer Intensität.