Ich habe lange überlegt, wie ich das jetzt genau aufziehe. Ich will ja keine Hausarbeit hier schreiben.
Folgende Punkte spreche ich an:
- Clancy, ihre Stichprobe, deine Hypothese in Relation zu ihren qualitativen Ergebnissen
- Korrelationskoeffizienten bei verschiedenen Gewaltformen gegenüber Kindern in Bezug auf maladjustment
- Selbiges bei
child sexual abuse bei college und nationwide samples bezüglich maladjustment
- Modelle zu Moderator-Variablen, die man gefunden hat
Ich denke mal für jedes Thema nehme ich einen Beitrag.
In diesem Beitrag kümmere ich mich erst einmal nur um Clancy.
Creasy hat geschrieben:
Das ist weit weniger erstaunlich, wenn man nicht davon ausgeht, dass die meisten Kinder gewaltlose sexuelle Erfahrungen als positiv bewerten.
Kommt auch darauf an, was du mit "
gewaltlos" meinst.
Menschen machen allgemein auch schlechte sexuelle Erfahrungen. Das ist ein totaler Allgemeinplatz. Menschen machen auch in anderen Lebensbezügen schlechte Erfahrungen.
Es ist ja nicht so, dass es prinzipiell unmöglich ist, dass zwei Personen aufeinander zugehen und die Erfahrung kann nicht gegenseitig zu etwas Positivem werden.
Du würdest Erwachsenensex ja nicht mit dem Allgemeinplatz verbieten, dass diese auch
schlechte Erfahrungen machen und diese sind dann verantwortlich für späteres psychisches Leiden?!
Was gibt es also für einen prinzipiellen Einwand, zwei Menschen sexuelle Erfahrungen machen zu lassen?
Ungewollte, aufgedrängte, emotional erpresste sexuelle Erfahrungen sind in dem Sinne auch nicht gewaltlos und vor allem - völlig egal ob später nun schädlich oder nicht - allein schon aus diesem Grund abzulehnen.
Wir setzen das später noch in Relation zu anderen Dingen, die Kindern angetan werden.
Gewaltbegriffe sind ohnehin schwer zu definieren. Vor allem ist ja auch nicht alles, was nicht gleich eine bestimmte Gewaltdefinition erfüllt gleich positiv.
Teenager machen übrigens am laufenden Band enttäuschende und schlechte Erfahrungen, wachsen aber auch daran und machen dann bestenfalls gute Erfahrungen. Man rettet sie auch nicht durch weitere Verbote oder Abstinenz.
Ein weiterer Punkt: In einer kriminalisierten Umgebung sind die Vorraussetzungen positive Erfahrungen zu machen allgemein schlechter. Geheimhaltung, Ambivalenzen und Erwachsene, die in so einer Umgebung Kinder einem solchen Risiko aussetzen, könnte man entweder eine instabile Persönlichkeit vorwerfen oder variierende Formen von Rücksichtlosigkeit.
Alles keine guten Vorraussetzungen für eine positive Erfahrungen, aber auch kein ultimatives Hindernis.
Man müsste nur im Hinterkopf behalten, dass der Kontext sexueller Kontakte in dieser Umgebung eben auch die Konsequenzen des Ganzen in eine negative Richtung lenkt, als es in einem legalisierten Szenario der Fall wäre.
Creasy hat geschrieben:
Es wird nicht als traumatisch empfunden, aber in den meisten Fällen als negativ oder neutral, wobei positive Erfahrungen natürlich nicht ausgeschlossen sind. Kinder sind eher verwirrt, was da eigentlich passiert und machen mit, weil sie ihre Bezugsperson nicht verlieren wollen oder Belohnungen und Komplimente bekommen. Die Vorstellung, dass Kinder diese Erfahrungen meistens als überaus positiv empfinden, ist aber eher eine Pädophantasie als die Realität.
Das ist der gefährliche ungebräuchliche Topf, den man nicht umrühren sollte.
Wenn man beispielsweise von S
exualität zwischen Erwachsenen redet, kann ich dir auch sagen:
Die Vorstellung, dass Erwachsene diese Erfahrungen meistens als überaus positiv empfinden, ist aber eher eine Pädophantasie als die Realität.
Und damit hätte ich Recht. Sexismus, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Ausnutzen von Positionen (Chef), Fremdgehen und ähnliches gehören ja auch zum
Realm der Realität von Sexualität.
Aber was tut denn das auch zur Sache? Es ist ja nicht so, dass zwei Menschen aufeinander zugehen und dann wird
aus Versehen sexuelle Belästigung daraus oder irgendetwas Negatives.
Intentionen, Haltungen, Rücksicht, Kommunikation sind ein integraler Bestandteil positiv erlebter gemeinsamer Sexualität, die auch zwischen Kindern und Erwachsenen eben nicht unmöglich ist.
Das heißt, man kann sehr wohl an vielen Merkmalen
unterscheiden , ob es sich nun um eine positiv gelebte sexuelle Beziehung zueinander handelt oder nicht. Das passiert nicht wochenlang und dann "
Ups, war ja alles doof!?".
Creasy hat geschrieben:
Genauso wie deine Überbewertung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern - in Doktorspielchen wird mal gekuckt und vielleicht auch mal angefasst, aber viel mehr passiert normalerweise nicht. Gegenseitiges Streicheln bis zum Orgasmus oder Oralsex zwischen Kindern kommt selten vor.
Kann schon sein, wobei das auch sehr vom Alter, Soziotop und vom Individuum abhängt. Gute Quantitative Daten dazu kenne ich jetzt nicht. Man könnte sich nun Beispiele hin und herwerfen (z.B. Berichte von Müttern in Foren), aber das ist eher sinnlos, denn ich frage mich: Inwiefern ist das nun relevant?
Ich frage mich ein bisschen zu welchem Argument das gehört. Gehört das zur
Schimäre der Wunschdisparität?
Oder sagst du damit im Prinzip: Diese Doktorspiele, wenn sie genauso zwischen Erwachsenen und Kindern passieren würden, wären dann nicht schädlich nach deinem Modell?
Geht damit auch noch ein anderes Argument einher, von wegen: Das wäre unschädlich, aber wenn Erwachsene Kindern andere ihnen bisher unbekannte Formen der Sexualität zeigen, dann wird das
automatisch schlecht bewertet, negativ rekonzeptualisiert?
Creasy hat geschrieben:
Edith: Wie interpretierst du diese Aussage von Susan Clancy:
Witzig, dass du das erwähnst.
Gehen wir doch mal Clancys eigene Gedankengänge durch. Zunächst einmal: Sie hatte von den Berichten der Missbrauchsopfer schlimmeres erwartet und stellt sich folgende Frage:
"
Ist meine Stichprobe vlt. nicht repräsentativ? Habe ich vlt. nur harmlose Fälle aus der Population erwischt?"
Wenn man dies hier liest:
Were you sexually abused as a child? Please call Susan for more information regarding a research study
on memory in the Department of Psychology at Harvard University
könnte man ja zunächst denken, dass da jeder gleichsam angesprochen wird.
Aber sie findet am Ende ja selbst heraus, dass sich viele Opfer eben nicht als klassische Opfer sehen oder überhaupt als das.
Regender; Duggan hat geschrieben:Unfortunately, because their actual experiences do not align with the trauma model most popular among CSA advocates, these negative feelings grow stronger. Victims see themselves as different from classic victims — that is, complicit in their victimization because they did not experience trauma at the time of the abuse. And thus they are reluctant to disclose the abuse once they become adults and understand what happened to them. Clancy, like Finkelhor, urges advocates to turn to different strategies to assist victims of CSA.
Die Stichprobe ist also nicht repräsentativ. Sie spricht eben die Population mit den meisten
adverse affects an. Also entweder diejenigen, die ihr Opfertum stark mit heutigen Problemen verbinden (wie z.B. Einstiegsbeispiel Frank) oder diejenigen, die eben klassiche Gewalterfahrungen gemacht haben.
Viele versprechen sich durch so eine Anzeige von der Abteilung "
Department of Psychology", auch Antworten auf Fragen, Hilfe, Beistand, Erklärungen.
Jemand, der von dieser Erfahrung unbeeindruckt ist, es eher als Bagatelle sieht, sich nicht als "Opfer" fühlt und auch gar nichts mit Psychologen zu tun haben will in der Richtung -
kann ja nur unangenehm sein, die reden da mit schlimmsten Gewaltopfern. Was soll man denn da? - wird eben eher nicht dahingehen.
Kein Wunder also wie der Bericht von Clancy über
adverse effects in Zahlen ausfällt.
Aber das ist bei vielen qualitativen Studien so. Man will oft gar nicht wirklich
Repräsentativität, man will Eindrücke eines
Phänomens beschreiben, was man definiert. Das ist Clancy zum größten Teil gelungen.
Aber um quantitativ Schäden abzuschätzen und Zusammenhänge zu finden, Hypothesen zu falsifizieren, leider nicht wirklich hilfreich.
Wie wir später sehen werden, sind die
margins von denen Clancy berichtet, in landesweiten/college Stichproben weit niedriger.
Und die Fragen eben (meistens)
nicht plump "
Wurdest du missbraucht", sondern spezifische Fragen bezüglich sexueller Handlungen - möglichst neutral formuliert.
Dann können wir gucken, was so realistische Korrelationskoeffizienten in der Allgemeinbevölkerung sind. Und die sind überraschend niedrig.
Zuletzt wollte ich noch einmal qualitativ auf ein Beispiel eingehen, was im Buch von Clancy ganz oben ausgeschrieben ist, nämlich Frank.
Frank did not mind it. As a child, he loved this man, and he liked the attention this man gave to him.
And sometimes what they were doing felt good. Occasionally he gave Frank baseball cards after the touching,
and Frank looked forward to receiving them. When the man moved out of town, Frank felt upset.
He missed him, the time they had spent together, and the attention he had received.
Natürlich fällt der Satz auf: "
Occasionally he gave Frank baseball cards after the touching, and Frank looked forward to receiving them."
Leider steht es da so unkommentiert. Man kann sich ja folgende Fragen dazu stellen:
- Hat das Schenken dieser Karten überhaupt mit dem "touching" zu tun? Wenn des diese "manchmal" gab, dann hätte es doch genau so sein können, dass "Manchmal guckten sie Fernsehen nach den sexuellen Zärtlichkeiten".
Wird diese Relevanz konstruiert oder will Frank hier deutlich machen, dass die Karten eine Belohnung für das Unangenehme/Neutrale sein sollen?
Oder hat Clancy diese Abschwächung bewusst eingefügt.
- Der wichtigste Part ist ja eher "
And sometimes what they were doing felt good". Hier könnte man auch fragen: Warum nur manchmal? Ging es nur nach dem Willen seines Missbrauchers und nur manche Aktivitäten empfand er gut?
Oder ist das nur ein zögerliches Zugeben einer sehr schamvollen und peinlichen Situation?
Was kommt von Frank und was ist die Narrative con Clancy?
Leider hat Clancy keine Transkripte veröffentlicht. Sonst könnte man diese Punkte noch weiter explorieren unter verschiedenen Fragestellungen.
Ein großes Problem ist ja, dass das Geschehene als auch die Beweggründe, Intentionen der Beteiligten sowohl durch Frank (als Erinnerung eben) als auch durch Clancy rekonstruiert wurden.
Clancy gibt das später auch zu, also zumindest bezüglich des Problemkomplexes
Gedächtnis und Erinnerung.
Aber dafür, dass es all diese
caveats und
biases gibt, die eine positive Situation noch vermeintlich als etwas Negatives rekonzeptualisieren, muss man doch sehen, dass dieses Beispiel bemerkenswert harmlos klingt.
Völlig undenkbar wäre ja auch nicht der Fehler in die andere Richtung: Also die sexuellen Handlungen waren alle viel schlimmer und erzwungener als im Gedächtnis geblieben. Angesichts der Umstände aber schon eher die unwahrscheinlichere Variante.
Vor allem muss man sich ja mal vor Augen führen, was ihn für Fragen heute herumtreiben. Als er Clancy fragt ob sein Fall denn "normal" sei, hakte er noch mal nach:
“No, not the sexual abuse part, I know kids get abused—for Christ’s sakes it’s in the papers all the time. . . . What I am asking is if other kids react to it like I did . . . you know, do what I did?”
Schamgefühl. Er schämt sich dafür, dass er so ein Kind war, welchesn eben die Situation mit seinem "
Missbraucher" positiv empfunden hat.
Als er auf die Rekrutierungstext von Clancy reagierte, erhoffte er sich im Wesentlichen Antworten auf diese Frage. Was ist mit ihm los? Das ist doch nicht
normal als Kind das so zu empfinden.
Notabel ist hier doch auch folgendes Gedankenexperiment dazu: Angenommen Frank lebt in einer Gesellschaft mit der Narrative in der sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen auch so positiv empfunden werden, wie er es erlebt hat.
Dann würde zumindest seine ganzen Sorgen, seine Scham
diesbezüglich völlig unter den Tisch fallen.
Er könnte das auch gar nicht fragen. "
War mein Fall überhaupt normal, so wie ich reagiert habe?" - diese Frage wäre nie aufgekommen, wenn dieser Sinn von Normalität eben gesellschaftlich existent gewesen wäre.
An einer anderen Stelle fragt sich Clancy - zu Recht - auch: Was schadet denn jetzt eigentlich?
What, specifically, about the abuse
has triggered the distress? Does it have to do with objective
characteristics of the abuse (for example, how
many times it happened or whether penetration was
involved)? Does it have to do with subjective characteristics
about the abuse (how painful, frightening, or shocking
it was)? Perhaps it has less to do with the actual
abuse and more to do with, say, the particular child (how
old he or she was and how genetically predisposed to
long-term psychological problems) or the environment
the abuse occurred in (one characterized by poverty,
physical abuse, or neglect). Maybe it has to do with
the cognitive or social consequences of the abuse
(how the victim’s family or health professionals handled
it or how the victim understood or conceptualized
it later on in life). There are numerous ways to understand
how and why sexual abuse damages victims. For
decades, however, the main focus has centered on one—
the incident itself.
Sie stiehlt sich aus der Frage ein bisschen heraus, indem sie sagt:
Naja, man kann den Schadensmechanismus auf verschiedene Weisen verstehen.
Dabei muss eig. auffallen, dass viele Faktoren ja eben nicht
per se mit sexuellen Handlungen an sich zu tun haben.
Viele dieser Ursachen sind
gesellschaftlicher Umstand und weniger Konstante menschlichen Daseins.
Erhellend ist auch das Interview in der SZ mit ihr. Da ging es um folgende Frage:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/sexue ... n-1.959798
SZ: Würden sich in einer Gesellschaft, in der sexueller Umgang mit Kindern akzeptiert wäre, die Kinder später im Leben noch missbraucht vorkommen?
Clancy: Sie meinen, wie im antiken Griechenland oder in Ländern, in denen Kinder als Sexgespielen dienen?
Es ist immer ein Verbrechen. Kinder können sexuelle Handlungen nicht beurteilen. Deshalb können sie nicht einwilligen. Sie werden klar missbraucht, egal, was die gesellschaftlichen Konventionen sind.
Entlarvend oder?
Auf einmal geht es überhaupt nicht mehr um den Schaden und die Ursachen, sondern um das Argument:
Informed Consent.
So etwas ähnliches habe ich dir ja auch schon vorher gesagt Creasy. Dass eben - soweit ich weiß - keiner ein Modell vorschlägt, wie du es tust. Also komplett
internale endogene Rekonzeptualisierung vergangener sexueller positiver Kontakte mit zu hohem Altersunterschied.
Gibt es eben nicht. Die gängigen Argumente habe ich auch schon mehrmals aufgezählt.
Man muss auch ein bisschen bedenken, dass die Viktimologie bezüglich "Sexueller Kindesmissbrauch" in solchen Belangen sehr polarisiert arbeitet. Die Frage ist für viele eigentlich gar nicht interessant. Die Frage, die zumindest Clancy, sich ein einem Punkt gestellt hat: "
What, specifically, about the abuse has triggered the distress?".
Es ist doch auch total bemerkenswert, dass erst vor 5 Jahren die große "Erleuchtung" kommt von wegen: "
Oh ja ups. Das mit den ganzen sexuellen Handlungen bei Kindern eigentlich nicht traumatisch".
Rind et. al. zeigen ja auch immer wieder: "
Ach ja ups. Alle möglichen Studien zeigen in unseren Metaanalysen eine schwache Korrelation". (Dazu mehr im 3. Beitrag)
Wenn man also behauptet die Wissenschaft bezüglich sexuellem Kindesmissbrauch, ihren Schäden und die Gründe dafür wäre hieb und stichfest, der muss
zumindest zugeben, dass dies ganz und gar nicht der Fall ist.
Viele, die ein bisschen in diese Richtung recherchieren, kommen auf eine Menge solcher Widersprüche. (Einen prominenten Vorgänger von Clancy würde ich z.B. Monika Rapold nennen. In "
Schweigende Lämmer und reißende Wölfe, moralische Helden und coole Zyniker : zum öffentlichen Diskurs über 'sexuellen Kindesmissbrauch' in Deutschland" beleuchtet sie ein bisschen den Hintergrund wie überhaupt die übertriebene Narrative aufgebaut werden konnte, dass sexueller Missbrauch völlig überbewertet wird - ohne eigentlich die empirische Basis dafür zu haben.)
PS: Ein ganz guter alter Clancy-Thread:
https://www.girlloverforum.net/forum/vi ... =22&t=8993 (ab Seite 3)