Creasy hat geschrieben:
Beim Schutzalter geht es darum, wann man einer Person die Fähigkeit unterstellt und die Verantwortung übergibt, selbst über seine Sexualität zu entscheiden.
Aus der Perspektive des Strafrechts wird hier explizit die "
ungestörte sexuelle Entwicklung von Personen unter 14 Jahren" bzw. die "
von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen geschützte Gesamtentwicklung des Kindes" geschützt.
Was das Kind dabei entscheidet ist irrelevant (wird maximal zur Strafbemessung berücksichtigt).
Keiner wird nach dem Vorfall mit dem Kind reden und sagen: "
Ey, du sollst dich doch nicht für Sex entscheiden! Bist noch nicht groß genug! Jetzt entschuldige dich gefälligst bei Markus, denn der war ganz schön perplex."
Klingt absurd oder? Drehen wir die Zeit ein wenig zurück, können wir beobachten, dass Kinder tatsächlich in vielen Fällen die Schuld für ihre Entscheidungen in sexuellen Belangen tragen mussten, selbst wenn es sich deutlich um missbräuchliche Vorgehensweisen durch den Erwachsenen handelt. Malón schreibt dazu:
These first studies occurred in a historical period in which the
child was regarded as more responsible for his or her actions,
including those ofan erotic nature;he or shecouldbe regarded as
a sexual delinquent even if the acts were with adults (Bender&
Blau, 1937, p. 511; Doshay, 1969, pp. 71–89; Mangus, 1953b,
pp. 31–34).
Irre oder? Kind und Erwachsener haben Sex, was verboten (indecent) war und das Kind bekam sehr häufig eine gewisse Mitschuld, wenn nicht in krassen Fällen sogar die alleinige als "seducing child".
Heute ist das anders. Man muss klar sagen: Hier wird einem Kind also nicht die Entscheidungsfreiheit für eine Aktivität entzogen, sondern der Erwachsene ganz einseitig für Missbrauch bestraft und das Kind ganz einseitig als Opfer stigmatisiert,
unabhängig von der Qualität der Begegnung!
Malón nennt dieses heutige Konstrukt "
the absolved child".
Man merkt aber wie absolutistisch der jeweils gegenwärtige Zeitgeist diesem Phänomen gegenüber war und heute ist. Das wird der Bandbreite der Formen sexueller Aktivitäten zwischen Erwachsenen und Kindern einfach nicht gerecht, es wird jeweils immer in einem einseitig ideologistischen Licht gesehen.
Creasy hat geschrieben:
Wie beim Autofahren und Wählen muss man da eine willkürliche Grenze ziehen.
Der Vergleich ist auf mehrere Arten holprig. Zum einen trägt man mit
Autofahren und
Wählen eine größere gesellschaftliche Verantwortung.
Bei sexueller Aktivät nur für sich selbst und das unmittelbare Gegenüber.
Zweitens erfordern Autofahren im öffentlichen Straßenverkehr und Wahlentscheidungen gewisse höhere kognitive und motorische Vorraussetzungen.
Drittens gehört
Verkehrsteilnahme zu einem größeren Spektrum, genauso wie sexuelle Handlungen ein breites Spektrum aufweisen. Sexuell spielerische Formen könnte man jeweils mit
Schulweg als Fußgänger und mit
Fahrradfahren vergleichen.
Erwachsenensex und erwachsene sexuelle Spielarten dann tatsächlich mit
Autofahren.
Ebenso können auch erwachsene Fußgänger sein und auch Fahrradfahren, und auch zusammen mit Kindern.
Kinder können Erwachsenen auch beim Autofahren zugucken. Und auf einem privaten Gelände, darf auch mal das Kind unter Beaufsichtigung fahren.
Das Kind dürfte selbst ohne Beaufsichtigung auf einem privaten Gelände fahren, aber wenn dann was passiert, wird der Erwachsene für die Verletzung seiner Aufsichtspflicht bestraft.
Allerdings nur, wenn dem Kind tatsächlich was passiert.
Es ist sogar gefährlicher, wenn man Kinder allein Autofahren lässt, als unter der Beaufsichtigung eines Erwachsenen.
Verglichen mit sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen kannst nun
etliche Gründe finden, warum der Vergleich so erbärmlich heftig hinkt, das er einen Rollstuhl braucht.
Ich fordere strengere Autofahr-Gesetze und eröffne hiermit die Kampagne des Kindes-Autofahren-Missbrauchs!
Und hoffentlich wird es dich nicht schocken, aber schau dir mal dieses
Kinder-Autofahren-Porno an. Alles völlig legal!
https://www.youtube.com/watch?v=Ej08b-_vlgA
Aber lass uns doch mal kurz versuchen dieses Phänomen zu
verallgemeinern. Vielleicht finden wir ja einen guten Vergleich? Autofahren und Wählen passt jedenfalls nicht.
Also, findest du eine andere Aktivität zwischen Menschen mit folgenden Vorraussetzungen?
(1) Wenn Kinder diese Aktivität unter sich praktizieren, ist diese erlaubt und wird oftmals sogar positiv gesehen.
(2) Das bildliche oder schriftliche Dokumentieren dieser Aktivität ist streng verboten, auch der Besitz solchen Materials.
(3) Praktizieren Erwachsene dieselbe Aktivität vor Kindern oder mit ihnen, werden die Erwachsenen streng dafür bestraft.
Creasy hat geschrieben:
Das ist meistens harmlos, natürlich sollten alle Kinder die das tun damit einverstanden sein. Schwierig wird es bei einem zu großen Altersunterschied, z.B. 12 und 6.
Ich sehe ganz andere Probleme als du. Ich kann mir jeweils einen Fall vorstellen in denen eine bestimmte Aktivität zwischen Gleichaltrigen verhindert bzw. abgefedert werden muss (verletzungsgefahr), während gegen eine positive, risikofreie Aktivität zwischen 12 und 6 nichts einzuwenden ist.
Für mich ist die
Qualität der Handlung,
der Wille und Wunsch und mögliche Risiken entscheidend.
Eine Altersformel zur Einschätzung der Aktivität ist völlig substanzlos. Das kann alles oder nichts bedeuten.
Creasy hat geschrieben:
Solche Hypothesen sind schwer überprüfbar. Es gibt keine existierende alternative Gesellschaft, in der es bei nicht gewaltätigen sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen fast nur positive Neubewertungen gibt.
Du sagst das so sicher. Korbin (1987) berichtet von als normal angesehne sexuelle Aktivitäten zwischen Kindern und Erwachsenen in einigen Stämmen in Papua-Neuguinea.
Ford and Beach (1951) berichten von den Lepcha in Indien.
Drew and Drake (1969) von einigen Völkern in Melanesien.
Nicht zu vergessen sind alle möglichen historischen Gesellschaften.
Und diese Beobachtungen reichen nur in die krassesten Darbietungsformen. Vieles was früher bloß mehr körperliche Zuwendung galt, ist heute sexueller Missbrauch.
Auch bei den gesetzlichen Paragraphen und aus gesellschaftlicher Perspektive galt immer mehr solcher.
Und mit dieser Umdeutung wuchs auch die Umdeutung aus der Perspektive eines Betroffenen und somit ja qua Gesellschaftsdispositiv auch das Stigma.
(Zur Theorie des Dispositivs mal Focault lesen)
Wir brauchen uns aber eigentlich gar nicht erst so weit umgucken.
In Spanien galt vor Kurzem noch das Schutzalter 12 und in vielen Bundesstaaten der USA ist das Schutzalter 18.
Nun braucht man bloß einen cross-cultural Test zu machen und die jeweiligen Mädchen als Erwachsene respektive über sexuelle Begegnungen zu fragen.
Man wird in den USA eine eine viel größere Menge an 12-18 Jähriger Opfer mit Neubewertungen finden als in Spanien.
Wenn man dazu noch die Metaanalysen von Rind et. al. und Heather Ulrich et al. anschaut und sich die Einflussgrößen anschaut, welche dazu beitragen, dass hier psychische Spätsymptome auftauchen, dann sind das mehrfach Familiensituation und externe Faktoren, aber eben nicht isoliert
sexuelle Handlungen und Gefühle.
Denn wie man respektive bewertet, was sich gut anfühlt und womit positive Empfindungen zusammenhängen, hängt von dem ab, was der Organismus extern lernt. Das müssen zwangsweise äußere Einflüsse und Lernschritte sein.
Du wirst mir zustimmen, dass die Neubewertung mindestens folgenden entscheidenden Faktor beinhaltet: Das Einschätzen der Person mit dem man diesen Moment geteilt hat. Und zwar liest jeder Mensch in sein Gegenüber Motive hinein, versucht sich hineinzuversetzen wie derjenige einen selbst sieht, was er vorhat und was er denkt.
Für einen Menschen, der sich in Kinder verliebt und auch sexuell intim mit es wird, gibt es keine positiven Schablonen in unserer Gesellschaft. Man kann soetwas nicht als ersterbenswert empfinden. Je nach dem wie anfällig man selbst in solchen Wertfragen gegenüber gesellschaftlichen Normen dieser Art ist, desto leichter greift hier eine negative Neubewertung.
Wie erkennt man das leicht? Nun: In solchen Fällen wird fast nie
die sexuelle Handlung selbst als schlecht empfunden, sondern alle möglichen Deutungen des Menschen und seine Motive.
Beispiel hier:
https://www.girlloverforum.net/forum/vi ... 17#p288917
Dies alles stützt die "
normalcy theory". Also eine Umgebung in der positive sexuelle Erlebnisse eines Kindes auch als positiv von anderen gewertet werden, sind förderlich und das Gegenteil davon schädlich.
Für Doktorspiele, Masturbation und selbstgerichtete Sexualität, wird diese Sicht sogar schon breit vertreten! Du wirst mir zustimmen: Das Kind akribisch an der Entdeckung von Sexualität hindern, abschotten und zu bestrafen ist schädlich. Kindliche Sexualität wird anerkannt.
Nur wenn bloß einer Erwachsener anwesend ist oder sich irgendwie involviert soll das selbe potentiell
endogen schädlich sein? Wie passt das zusammen?
Zur "normalcy theory" empfehle ich auch die Arbeiten Currier, Constantine und Plummer. Oder besser kann man sich in der Übersichtsarbeit "
The Sexual Abuse of Children: Volume I: Theory and Research" (O'Donohue, 2014) informieren.
Das alles zusammengenommen deutet extrem darauf hin: Die Neubewertungsreaktionen sind
stark abhängig von soziologischen und historischen Kontexten und von der Bewertung von Beziehung, das Hineinlesen von Bedeutung und das Erkennen von Motiven und Willen in anderen Menschen. Aber eben nicht monolithisch abhängig von den sexuellen Erfahrungen per se, nur im Zusammenhang mit diesen externen Faktoren.
Einen alternativen reinen endogenen Mechanismus hat man damit jedenfalls falsifiziert. Sonst müsste man unabhängig von Gesetzen, historischen und gesellschaftlichen Kontexten ähnliche Schäden, Bewertungen zu änhlichen Zeiten finden.
Von einigen Beispielen, dass die Qualität der Beziehung und Begegnung eine große Rolle spielen und auch zeitlich überdauern kann, berichtet T. Rivas:
https://www.ipce.info/host/rivas/positive_memories.htm
Wir haben hiermit sogar NOCH ein neues Indiz.
Wenn also dieselben positiven Begegnungen in der Kindheit, im Erwachsenenleben sowohl positiv als auch negativ neubewertet werden können, dann kann die Neubewertung nicht allein aus dem "Inneren" des Betroffenen stammen (endogener Vorgang), es muss von außen etwas dazugetan werden, damit diese Neubewertung überhaupt angestellt werden kann.
Für deine Hypothese, die ich einfach mal
"Risiko endogener negativer Neubewertung positiver sexueller Kontakte mit Erwachsenen in der Kindheit" gibt es dagegen wenig Indizien. Eher sprechen alle möglichen Beobachtungen dagegen.
Hast du vielleicht ein paar Evidenzen, die deine Hypothese stützen?
Creasy hat geschrieben:
Zu diesem Punkt übrigens vielen Dank an dieses Forum. Ohne euch wäre ich nie auf The Trauma Myth gekommen. Kapitel 4 dieses Buches beschreibt die Neubewertung und Rekonzeptialisierung ziemlich gut und anhand empirischer Daten aus Interviews.
Dazu antwortete ich im anderen Thread.
Creasy hat geschrieben:
Man hat im 15. Jahundert den Herrn Kolumbus verachtet dafür das er behauptete das die Erde eine Kugel sei. Das Ende von Lied ist bekannt
Ne, das ist Blödsinn.
Die wenigsten glaubten im Mittelalter noch an eine flache Erde. Schon vor Aristoteles war es bekannt, dass die Erde eine Kugel ist.
Creasy hat geschrieben: Außerdem können wir bei Virped mit Wissenschaftlern, Journalisten etc. besser zusammenarbeiten, wenn wir nicht im Verdacht sind, Sex mit Kindern legalisieren zu wollen.
Das ist auch meine Einschätzung der Gründe gewesen.
Puh, schon wieder so viel. Bleiben wir erst einmal bei diesem Thema dann.